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„Entflechtung“ a la Dresden

■ Alle HO-Objekte schlicht zur Versteigerung ausgeschrieben / Kein Konzept zur Erhaltung der 70.000 HO-Arbeitsplätze im Bezirk / Versorgung gefährdet / Gewerkschaft: „Skandal ersten Ranges“

Aus Dresden Detlef Krell

Als politischen Skandal ersten Ranges bezeichnet die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen die Umstände, unter denen gegenwärtig im Bezirk Dresden der Volkskammerbeschluß zur Entflechtung des Handels in den Kommunen im vorauseilenden „Gehorsam“ von Bürgermeistern, Landräten und Treuhandanstalt erfüllt wird. Am 31.Juli wurden in den Dresdner Zeitungen alle Objekte der HO zu einer „geheimen Versteigerung“ ausgeschrieben. Diese Ausschreibung ignoriert die Verordnung zur Entflechtung des Handels vom 25. Juli 1990, deren Zustandekommen die HBV auf die massiven gewerkschaftlichen Proteste vor dem Hintergrund des Volkskammerbeschlusses zurückführt. Etwa 100.000 Handelsbeschäftigte hatten im Juli republikweit dagegen protestiert, daß alte politische Rechnungen mit neuen ökonomischen Methoden auf dem Rücken des Handels beglichen werden.

Nach der unter gewerkschaftlichem Druck entstandenen Verordnung dürfen Handelsobjekte nur unter bestimmten Einschränkungen zum Kauf angeboten werden, und wenn es zum Verkauf kommen sollte, müssen Arbeitnehmer und Auszubildende übernommen werden. Entgegen der gesetzlichen Regelung erfolgte die Ausschreibung im Bezirk Dresden nicht nach einem von der Treuhandanstalt geregelten Ausschreibungsverfahren und nicht in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften und Betriebsräten. Die Durchführungsverordnung fordert weiterhin regionale Konzepte der Kommunen.

Für die etwa 70.000 HO-Arbeitsplätze im Bezirk Dresden gibt es nach Aussagen der HBV keine Konzepte. Akut gefährdet ist auch die Versorgung der Dresdner, da ebenfalls gesetzwidrig, nicht nur Vermögensanteile, sondern auch gemietete Objekte ausgeschrieben wurden. Was bei diesem Dresdner Sonderweg mit den Bechäftigten und selbst mit der Ware in den Geschäften passieren soll, ist völlig unklar.

Die Gewerkschaft HBV hat in einem sogenannten Anmahnungsschreiben die Bürgermeister, Landräte und die Treuhandanstalt aufgefordert, die Ausschreibung rückgängig zu machen und sich an Recht und Gesetz zu halten. Für Mitte nächster Woche kündigte sie gewerkschaftliche Aktionen an, um die unter dem gewerkschaftlichen Druck erreichten Erfolge abzusichern. Gewerkschaftssekretär Anton Kobel, HBV West, spricht von der Ausschreibung als einer „Koalition der Rechtsbrecher im öffentlichen Dienst“. In Dresden werde der ehemals volkseigene Handel nicht entflochten, sondern zerschlagen. Der Geschäftsführer der Dresdner Einzelhandels und Industriewaren GmbH in Gründung, bekam aus dem Stab des ersten Bürgermeisters der Stadt Dresden den Bescheid, daß der Oberbürgermeister nicht an Entflechtung denke, sondern sich von der Auflösung leiten lasse. Ähnliche Äußerungen kamen von den Landräten in Zittau, Pirna und Löbau. Offensichtlich glauben einige Bürgermeister, der Erlös des Verkaufes fließe in die Gemeindekassen. Sie befinden sich, wie Werner Wild von der HBV West versicherte, im eklatanten Irrtum. Das Geld erhalte allein die Treuhand AG.

In einem Schreiben an alle Regierungsbevollmächtigten in den Bezirksverwaltungsbehörden hatte Handelsministerin Sybille Reiter kürzlich aufgefordert, mit der Entflechtung des Handels bis zum Erscheinen der Durchführungsverordnung zu warten. Sie begründete das mit den weitreichenden Konsequenzen des Beschlusses für die Versorgung der Bevölkerung, die Schaffung wettbewerbsfähiger und effizienter Handelsunternehmen und für den Einsatz der Bestände. Aus dem gleichen Ministerium erging die Forderung an die Leiter der Ressorts Handel und Tourismus in den Bezirksverwaltungsbehörden, „ökonomisch und organisatorisch unabgestimmte und unkontrollierte Aktionen der Auflösung funktionierender effizienter Kapitalgesellschaften nicht vorzunehmen“. Die Entflechtung müsse mit Bedacht gestaltet werden. Es handle sich bei den bisherigen Verlautbarungen zunächst um politische Entscheidungen. Die Entflechtung müsse mit Bedacht gestaltet werden.

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