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„Sogar in Liverpool bekommen wir Geld für das Scheunenviertel“

■ Gespräch mit Reinhard Miottke von der Bürgerinitiative Spandauer Vorstadt über die Sanierung des unter Denkmalschutz gestellten Viertels in Berlin-Mitte

INTERVIEW

Reinhard Miottke, 34, gelernter Agraringenieur, wohnt seit 1979 in der Mulackstraße 25 im Scheunenviertel, der Spandauer Vorstadt. Er hat die „Bürgerinitiative Spandauer Vorstadt“ am 13. November 1989 mitgegründet und ist einer ihrer Sprecher. Für die Bürgerinitiative, die sich den Erhalt der verbliebenen historischen Bausubstanz in diesem vorgründerzeitlichen Stadtviertel zum Ziel gesetzt hat, saß er am Berliner Runden Tisch und war maßgeblich daran beteiligt, daß das Gebiet zwischen Spree, Friedrich-, Wilhelm-Pieck- und Karl-Liebknecht-Straße im Februar komplett unter Denkmalschutz gestellt wurde. Ab 20. Juli konnten für die ersten elf Häuser im Scheunenviertel Modernisierungsverträge abgeschlossen werden - im Rahmen des von Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) Anfang des Jahres vorgelegten 25-Millionen-Soforthilfeprogramms zur Sanierung Ostberliner Altbauten. Für die taz sprach Frank Nordhausen mit Miottke.

taz: Wie seid ihr denn in das 25-Millionen-Programm hineingekommen?

Reinhard Miottke: Durch den Sprecherrat der Bürgerinitiativen von Berlin. Der Sprecherrat hat gegenüber dem Bauministerium und Mitarbeitern von Nagel, speziell Planungsreferent Fuderholz, durchgesetzt, daß die 25 Millionen vor allem über die Bürgerinitiativen abgewickelt werden. Dabei sind speziell zwei Gebiete ausgewählt worden: die Rykestraße in Prenzlauer Berg und das Scheunenviertel, und zwar, weil wir ein festes Kollektiv waren, eigene Projekte angekurbelt hatten und teilweise eine Finanzierung klarhatten. Wir wollten allerdings nie ein so großes Ding wie jetzt durchziehen, sondern ursprünglich lieber Schritt für Schritt vorgehen. Mir tut es inzwischen leid, daß wir uns auf die 25 Millionen eingelassen haben - wir wären inzwischen vielleicht viel weiter. Inzwischen haben nämlich diejenigen, die um die 25 Millionen gekämpft haben, schlechtere Bedingungen als diejenigen, die später kamen. Jeder Besetzer ist inzwischen besser dran als wir. Der Magistrat hat in dem Zusammenhang erklärt, daß von den Besetzern nicht das gleiche wie von den seriösen Gruppen verlangt werden kann. Das 25-Millionen-Programm leistet im übrigen nur die Finanzierung. Die rechtliche Seite muß dagegen noch mit der KWV (Kommunale Wohnungsverwaltung) geklärt werden, also welches rechtliche Konstrukt mit der Finanzierung verbunden wird.

Wieviele Häuser habt ihr in dem 25-Millionen-Programm?

Insgesamt elf Häuser, sieben mit eigenen Hausvereinen und vier von der „Genossenschaft SpECKstein“, die in Zusammenarbeit mit den Westberliner Sanierungsträgern S.T.E.R.N., L.I.S.T. und Stattbau rekonstruiert werden.

Welche Art von Verträgen sind denn bisher abgeschlossen worden?

Modernisierungsverträge und Treuhänderverträge sind unter Dach und Fach. Die Modernisierungsverträge wurden am 20. Juli, die Treuhänderverträge bereits zwei Monate früher abgeschlossen. Bei den Treuhandverträgen gibt der Senat einem Treuhänder das Geld, und der muß dafür sorgen, daß es ordnungsgemäß übergeben wird.

Sehen eure Verträge bauliche Selbsthilfe vor?

Unsere Verträge beinhalten Selbsthilfe. Wir hatten ja die Bedingung gestellt, daß die Verträge an Selbsthilfe gebunden werden und Komplementärmittel bereitgestellt werden müssen. Diese Mittel sind seit dem 20. Juli nun hundertprozentig gesichert. Der Magistrat hat zudem einen Sonderfonds in Höhe von 40 Millionen geschaffen, und die stehen uns jetzt ebenfalls zur Verfügung. Dabei haben wir die SPD eiskalt erpreßt, nämlich die 25 Millionen aufrechtzuerhalten und Komplementärmittel aus Ost-Berlin zu stellen, indem wir gedroht haben, daß alle Projekte aus dem 25-Millionen -Programm aussteigen, wenn die Komplementärmittel nicht gesichert werden - und das wäre für Nagel bitter gewesen. Eigentlich wollten wir sogar 100 Millionen, aber das hat nicht geklappt.

Was für Erfahrungen habt ihr in dem Zusammenhang mit der KWV gemacht?

Die haben uns ein halbes Jahr lang nur verarscht. Wir haben 28 Verträge erarbeitet, und alle wurden abgelehnt - entweder von ihnen oder von uns. Sie wollten uns einfach die Häuser nicht geben, das ist alles. Die wollten maximal Mietermodernisierung zulassen. Am Anfang haben sie gesagt: Wir überlassen euch die Häuser nicht, weil wir dann unsere Arbeitsverhältnisse los sind. Jetzt sagen sie: Wir können euch die Häuser nicht geben, weil wir nicht wissen, wer der Eigentümer ist. Durch den Typen von der DeGeWo - Jesch (Prokurist, er wirkt jetzt als Geschäftsführer der KWV Mitte, d.A.) - gab es jedoch eine Änderung. Der ist relativ locker. Direkter Ansprechpartner für unsere Verhandlungen ist er allerdings nicht. Er hat uns aber grünes Licht gegeben, da wir als Sonderfall ja bereits Verträge haben und auch die Finanzierung klar ist. Er hat sogar in Eigeninitiative einen Weg gefunden, die besetzten Häuser zu legalisieren.

Plant ihr noch andere Projekte, außer Wohnraum zu schaffen und die Häuser wieder herzurichten?

Alles, was man sich vorstellen kann. In der Steinstraße 16 machen wie z.B. einen Fahrradladen auf. Eine Kneipe werden wir demnächst eröffnen, wenn wir die Schanklizenz haben. Und wir planen mehrere Kulturprojekte.

Entsprechen eure Verträge den westlichen Modernisierungsverträgen?

Ja klar. Das lief meistens über S.T.E.R.N. Die haben ihren Einheits-Modernisierungsvertrag genommen und mußten den dann ändern, je nachdem, was die KWV haben wollte, z.B. daß die KWV als Bauherr fungiert. Wobei wir uns aber weitgehende Rechte gesichert haben, z.B. den Bauleiter und Architekten bestimmen und die Pläne machen zu können, während die KWV nur bezahlt und abnimmt. Wir haben auch Mietfreiheit ab Baubeginn und können von der KWV bestimmte Leistungen vorrangig abfragen, z.B. wenn wir Zement brauchen. Wir wollen hier auch selbstverwaltete Betriebe aufmachen. Auch haben wir beschlossen, über ABM eigene Bautrupps für arbeitslose Bauhandwerker aufzustellen und ein Planungsbüro in Eigenregie zu betreiben. Wir wollen versuchen, möglichst viele Häuser über dieses Baubüro abzuwickeln, so daß, wenn nach der Einverleibung von Ost-Berlin die Modernisierungs und Instandsetzungsrichtlinien auch in Ost-Berlin gelten, wir fertige Konzepte auf den Tisch legen und sagen können: Her mit der Kohle.

Wie sehen eigentlich die Eigentumsverhältnisse im Scheunenviertel aus?

Bei einigen Häusern sind die Eigentümer schon aufgetaucht, verhalten sich aber friedlich, sind bereit, die Leute wohnen zu lassen und erkennen die Nutzungskonzepte an. Zur Zeit ist die KWV dennoch berechtigt, Verträge abzuschließen, egal, wie die Eigentumsverhältnisse aussehen. Wir streben Erbbaurechtsverträge an. Das, was bei langfristiger Nutzung herauskommt, kann jedenfalls nicht schlechter sein als das, was wir jetzt haben. Mit Mietverhältnissen ist uns nicht geholfen: Außerdem haben wir die Mietverhältnisse sowieso gesichert.

Denkt ihr daran, die Häuser selber zu kaufen?

Am liebsten würden wir sie kaufen: im Augenblick sind wir aber erstmal dabei, einen eigenen Träger zu bilden. Dieser Träger muß und wird Ende August/Anfang September stehen. Denn da muß ich nach Schottland und Irland fahren, um dort Geld herauszuschinden. Verrückt, sogar aus Liverpool bekommen wir Geld für das Scheunenviertel. Ich nehme an, da gibt es ein paar Juden, die früher hier gewohnt haben.

Was ist dein Ausblick für die Zukunft?

Zunächst klemmt es an den langfristigen Verträgen. Es ist wichtig, daß wir die sauber über die Bühne kriegen und Sicherheit erlangen. Mitte August will das Stadtplanungsamt die Bebauungsstudie für das Gebiet ausstellen. Darauf müssen wir uns einstellen und rechtzeitig Protest einlegen. Dann werden sie sicher die Bauleitplanung nach unseren Protesten ausrichten. Was wir hier in den letzten anderthalb Jahren erlebt haben, ging so schnell, daß wir mit der Planung kaum mithalten können. Und was hier in den nächsten 10 oder 100 Jahren passieren wird, kann keiner wissen. Werden hier lauter Yuppies einziehen oder werden Momper und Schwierzina alles abreißen?

Nachtrag: Am 17. August wird um 19 Uhr im U-Bahnhof Schlesisches Tor eine Ausstellung zur baulichen Selbsthilfe unter dem Titel „Selbstbau gegen Wohnungsnot“ eröffnet, bei der sich auch die Bürgerinitiative Spandauer Vorstadt vorstellt.

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