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Unser Marion Barry ist wieder da!

■ Washingtons schwarzer Bürgermeister wurde nach mildem Urteil von seinen Anhängern begeistert empfangen

Aus Washington Rolf Paasch

Er hielt Einzug wie ein Gladiator und wurde von der schwarzen Menge im Innenhof des Rathausgebäudes vor Begeisterung fast erdrückt. Marion Barry, der das weiße Establishment siegreich bekämpft hatte, war gekommen, um Dank zu sagen. Marion Barry, Bürgermeister von Washington D.C., Frauenheld und Kokainkokser, Identifikations- und Haßfigur, wollte um Vergebung bitten. Marion Barry, seit dem Juryspruch vom Freitag des Besitzes von Kokain in einem Falle schuldig, dessen Prozeß die 12köpfige Jury in den restlichen 12 Anklagepunkten so gespalten hatte wie die Bevölkerung in seiner Stadt, ist wieder da. „Barry, Barry, four more years“, schallen die politischen Anfeuerungsrufe durch den überdachten Innenhof des „Reeves Building“ an der 14. Straße. Josh Norton, ein pensionierter Angestellter in der seit 12 Jahren von Barry regierten Dreiviertel-Millionen -Stadt, stampft rhythmisch mit seinem Krückstock auf den gekachelten Hallenboden. „Ach was“, ruft er. „Barry, Bürgermeister auf Lebenszeit!“

Dieser Mann und Märtyrer kann huren und koksen wie er will, die Unterstützung derer, die am heutigen Samstag zu seinem ersten Auftritt nach dem zweimonatigen Prozeß gekommen sind, ist ihm sicher. Einige haben sich frisch bedruckte T-Shirts übergezogen: „Verfahren gescheitert“, steht da unter Marion Barrys Konterfei geschrieben, an dessen Ohren die beiden Waagschalen Justitias hängen.

Seit acht Jahren waren sie hinter ihm her, der weiße Bundesjustizapparat, der am Ende für das Verfahren gegen das schwarze Stadtoberhaupt mehr Dollars ausgab als für die Iran -Contra-Prozesse - seit jenem 12.Januar, als Barry sich von einer als Lockvogel eingesetzten Exfreundin und Drogenabhängigen im Vista-Hotel zum heimlich gefilmten zweifachen Zug aus der Crack-Pfeife verführen ließ.

„Die Regierung hat es wieder auf einen der Unseren abgesehen“, war aus den Slums der zu über 70 Prozent schwarzen Stadt zu hören. „Endlich haben sie ihn“, atmeten dagegen die weißen Bürger im westlichen Georgetown und den grünen Vorstädten auf. „Der Mann war eine Schande für unsere Stadt“. Doch es half alles nichts, die Jury wollte mehr an Beweisen sehen als nur die Aussagen von ehemaligen Freunden und Crack-Lieferanten Barrys, die in den letzten Jahren insgesamt 200mal mit Marion einen durchgeraucht oder geschnupft haben wollten. Die den Zeugen der Anklage versprochene Straffreiheit sprach in den Augen der Jury am Ende gegen die Glaubwürdigkeit ihrer Aussagen.

Als Staatsanwalt Jay Stevens am Freitag abend nach der Urteilsverkündung der Presse Rede und Antwort stand, ging seine Rechtfertigung für die Erhebung der Anklage im Buhgeschrei der Barry-Fans unter. während der Angeklagte, dem statt 25 Jahren Knast nun lediglich ein leichter Tadel wegen eines Vergehens droht, aufrechten Hauptes durch das Spalier der Kameras aus dem Gerichtsgebäude schritt.

Am heutigen Samstag ist Barry nun vor seine Stadt getreten. Er bittet um Vergebung und die Mitarbeit aller am Heilungsprozeß der (nicht nur durch seinen Prozeß) gespaltenen Hauptstadt. „Unvorstellbare Gnade“, hebt er an, ehe die Menge wie im Wechselgesang einer Gospelsession einfällt. Als reuiger Sünder kehre er heim. „Amen“. Nachdem seine Frau ihm vergeben habe, müsse jetzt auch die Regierung über ihr Verhalten ihm gegenüber nachdenken. „Laßt uns alles vergessen“, so Barry an die Adresse der Staatsanwaltschaft, die bis zum 17. September über die Aufnahme eines Wiederholungsverfahrens entscheiden muß. „Laß uns die Wunden heilen“, ruft der Mann, der jetzt eine Kandidatur für einen Stadtratsposten erwägt. „Amen“, schallt es zurück.

Auf dem Bürgersteig vor dem „Reeves Building“ im Herzen des schwarzen Washingtons läßt der Siegestaumel der Barry-Fans kaum noch eine Diskussion zu. Es wird viel geredet, aber wenig gezweifelt. Nur ein Schwarzer wagt es, seinen „brothers and sisters“ offen zu widersprechen. „Es ist falsch, daß wir den schwarzen Mann unterstützen, ganz gleich, was er verbrochen hat.“ Rasch hat sich eine Menschentraube gebildet, um ihm seine ketzerischen Gedanken auszutreiben. Der Streit wird hitzig, bis sich eine junge Frau mit einem Schild schlichtend zwischen die Kontrahenten schiebt: „Gott hat alles unter Kontrolle“, steht darauf geschrieben. „Er hat die Jury sprechen lassen: Wir haben gewonnen“. Wie weit muß die politische Entfremdung dieser Schwarzen Amerikas fortgeschritten sein, daß eine offene Kritik an schwarzen Amtsinhabern immer noch nicht möglich ist; daß am 25.Jahrestag der Rassenunruhen von Watts eine Verurteilung Marion Barrys auch in Washington wieder zu einer Explosion der schwarzen Ghettos hätte führen können.

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