: Aus vier mach eins: FDP schließt DDR-Liberale an
■ Drei Punkte auf gelbem Grund wahlkampfbereit / Der Vereinigungsparteitag in Hannover entpuppte sich als Ritual / Keine Neubestimmung liberaler Politik / DDR-Liberale wollten lieber Genscher als Lambsdorff als Parteichef
Aus Hannover Ferdos Forudastan
Recht rasch erledigte Otto Graf Lambsdorff zunächt seine Pflicht. „Seit mehr als hundert Jahren sind die Liberalen getrennt“, „heute werden wir eins“, „ein bewegendes Gefühl, wir sind wieder zusammen“. Nicht viel mehr beschied in seiner Eröffnungsrede der FDP-Vorsitzende den 662 Delegierten zum Anlaß ihrer Reise nach Hannover: Der Vereinigung der drei liberalen Parteien in der DDR mit der FDP-West auf einem gemeinsamen Parteitag. Ausführlich und spürbar bewegter widmete der Markt-Graf sich dann der Kür: Dem Hohelied auf die Segnungen einer wirtschaftsliberalen Politik.
„Technokratisch-vereinigend“ - unverbrämt hatte Rainer Ortleb vor Wochen über den bevorstehenden Parteitag geurteilt. Anders als der Vorsitzende des Bundes Freier Demokraten schien kaum jemand das Geschehen zu sehen: „Hier vollzieht sich doch nur, was längst beschlossene Sache ist: Daß die zu uns kommen“, befand ein Delegierter aus Baden -Württemberg. „Nein, ums miteinander nachdenken oder disputieren geht's hier nicht“, so eine Delegierte aus Brandenburg. Und schließlich nutzte man nicht einmal die Übergabe der Vereinigungsbriefe, um das Bild von Hannover zu retouchieren: der Anschluß der knapp 140.000 DDR-Liberalen an die 67.000 mitgliederschwache FDP-West.
Was bringen die DDR-Liberalen in die FDP ein? Wie passen die drei derzeit so zerstrittenen DDR-Parteien Bund Freier Demokraten (BFD), Deutsche Forum Partei und FDP-Ost untereinander zusammen? Können ihre Anliegen, ihre Erwartungen überhaupt mit denen der FDP-West harmonieren? Was ist Liberalismus im Post-Sozialismus? Was bedeuted es für die zukünftige Politik der FDP, daß sie nun zur Mitgliederpartei werden könnte? Weder diese noch andere ganz grundsätzliche Fragen wurden in Hannover offen gestellt. Daß sie aufkommen werden, darauf wies dennoch einiges hin.
Heftig gegrummelt hatten etwa schon im Vorfeld Ost -Liberale. 402 der 662 Delegierte zu stellen, beanspruchte die FDP-West. Dabei hat sie nicht mal halb soviele Mitglieder wie der BFD. Nur zwei Plätze im FDP-Präsidium räumte man den neuen Parteifreunden aus der DDR ein: Rainer Ortleb, BFD, und Bruno Menzel, FDP-Ost. Und auch in den Bundesvorstand rutschte nur eine gute Handvoll DDRler. Unmut war auch immer wieder aufgekommen, weil die beiden kleinen Parteien (DDR-FDP 2000, DFB 500 Mitglieder), sich benachteiligt fühlten: Obwohl der sehr viel größere BFD sich aus den ehemaligen Blockparteien LDPD und NDP zusammensetzt, war er eigentlicher Ansprechpartner der FDP hierzulande. „Das ist bitter, das werden wir uns nicht auf Dauer gefallen lassen“, sagt dazu ein Mitglied der DFP. Unzufrieden damit, wie sich die Parteienvereinigung vollzog, waren allerdings auch Delegierte aus der BRD. „Das geht alles viel zu schnell, viel zu aufgesetzt, es ist ja noch nichts diskutiert. Die ehemaligen Block-Leute haben ihre Vergangenheit ja erst mal total verdrängt.“ Und am Rande des Parteitages, in den Pausen zwischen Vereinigungsreden, Satzungsdiskussionen und Auszählen der Stimmzettel, zeichnete sich ab, daß die künstliche Harmonie noch aus einem anderen Grund nicht ewig währen kann: Der derzeit stark wirtschaftspolitisch gepägte Kurs ist den meisten neuen Mitgliedern fremd - und wird es wohl auch noch länger bleiben.
„Die Partei wird sächsischer und sozialer.“ Fröhlich lächelnd kündigte dies Irmgard Adam-Schwaetzer, Staatsministerin und Präsidiumsmitglied. Tatsächlich wird wohl vor allem der BFD den derzeit ziemlich lahmen sozialliberalen Flügel in der FDP zumindest personell stärken. Aus seiner Mitte war in den letzten Wochen immer mal wieder - wenn auch sehr verhaltene - Kritik am scharfen wirtschaftspolitischen Profil der FDP aufgekommen. Und auch das Wochenende in Hannover zeigte: Die Sympathien der meisten Liberalen-Ost gehören Hans-Dietrich Genscher, nicht Otto Graf Lambsdorff. Ihre Belange zu wahren trauen sie dem Außenminister zu, keineswegs aber dem Parteivorsitzenden. Kaum hatte Otto Graf Lambsdorff in seiner Eröffnungsrede das außenpolitische Wirken von „unserem Freund Hans Dietrich Genscher“ lobend erwähnt, erhoben sich die Delegierten aus Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Vorpommern. Sie klatschten minutenlangen Beifall - der FDP-Graf bekam für seine ganze Rede nicht halb soviel. „Er weiß, was uns wichtig ist, diese ganzen sozialen Dinge eben“, so erklärte eine Delegierte aus Vorpommern, warum sie lieber Genscher als Parteivorsitzenden hätte. Auf die Frage, was diese „ganzen sozialen Dinge“ denn sind, gab es freilich nur diffuse Antworten: mehr Sorge um Kinder, Kranke, Alte, ein größeres Engagement für die straffreie Abtreibung, „überhaupt etwas mehr Wärme in der Gesellschaft.“
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