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Neulich ... in Nekropolis

■ Es war stickige, nasse Hitze und Samstag und kein Entkommen

NEULICH...

...in Nekropolis

Es war stickige, nasse Hitze und Samstag und kein Entkommen...

...Vormittags war schon alle Luft verbraucht, nach abgestandenen Resten schnappten matte Menschen mit Karpfenmäulern, und es roch „wie gekochter Alkohol unter der Bettdecke.“ Das ist von Chandler.

Wenn es so schwül ist, müssen die Leichen schnell unter die Erde, die Hinfälligsten stürzen ihnen gleich hinterher, man kann auch den Hut abnehmen und sagen: Der Würgeengel geht durch die Stadt.

Würgeengel

Dann schleppen sich alle dahin und schauen sich verstohlen um mit Augen wie alte Sülze und haben sich das Grinsen von gestern noch mal in die Mundwinkel geklemmt. Hunde verkriechen sich wimmernd unter Autos, und eine kurze Zeit lang ist es nichts als tödlich, das Leben.

C. und ich also radeln durch reglose Luft, bloß Fahrtwind schlürfen. Obervielander Wüsteneien durchqueren wir und verlassene Spülfelder, überall die eine, unteilbare Hitze, gleich wird die Welt, mit einem leisen Blups, sich auflösen in Gelee. Da aber ist ein Kiosk, wir halten, es heißt vielleicht Woltmershausen hier. Ein grauer Alter verkauft Eis und Getränke, ein junger Mann kommt über die Straße getrottet, Kind auf dem Arm, und lachend sagt er: „Das ist mein Kind!“ Dann geht er wieder, und der Alte deutet auf das Beerdigungsinstitut gegenüber. „Da arbeitet der. Gleich werden sie eine Leiche holen.“ „Ja?“, sagt C. Das war ganz falsch, weil da kennt sich der Alte aus. Und erzählt, wie's zugeht, im Krankenhaus, in der Pattalogie, wirft genaue Listen aus, was er kostet, der Tod, mit Aufbahrung und ohne, und er ist noch lange nicht fertig, als sich gegenüber das Tor öffnet und ein Ford -Leichentransporter in Dunkelblau herausbiegt, drinnen Vater, Mutter, Kind wie auf Ausflug; da fahren sie alle dahin, die Leich‘ holen.

Pattalogie: Maden stechen

Abends wälzt sich langsam die Hitze von der Stadt und geht ins Kino. Mitten in der Werbung scheint eine Schrift auf: „Biologische Vernichtung“. Es ist ein lehrreicher Kurzfilm. Wir sehen Schlupfwespen, wie sie in fette weiße Maden unter Baumesrinde ihre Eier einstechen, und C. kämpft sogleich mit Übelkeit. Eine Männerstimme spricht mit Genuß von der Länge des Stachels, von der Erregung der Wespe und wie sie, wir sehen es, ihren Leib bohrend windet, und spricht von der Angst der Made, und auch das sehen wir, immer wieder, wie sich die Made krümmt in ihrem Loch, bis der Stachel sie findet.

Oder nicht?

Die Nacht war, wie von Ziegelsteinen, von Träumen noch erhitzt. Meine kleine Tochter ist in einen Fluß gefallen und, von der Strömung gestrudelt, eine Zeitlang im Kreis getrieben, auf und abtauchend. Ich habe lange vor mich hingebrütet, aber dann bin ich doch hinabgestiegen. Und habe sie gerettet. Manfred Dworscha

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