SPD auf dem Rückzug?

■ Zur Atompartei wollen die Berliner Sozialdemokraten doch nicht werden / Fraktion wirft Rettungsring

Walter Momper hat sich verrannt, er wird zurückstecken müssen. So hart formuliert es zwar keiner in der SPD -Fraktion, schließlich möchte man im anlaufenden Wahlkampf nicht den eigenen Spitzenkandidaten beschädigen. Trotzdem will die Fraktionsspitze der Sozialdemokraten im Clinch mit der alternativen Umweltsenatorin Michaele Schreyer zum Rückzug blasen. Einen Bruch der Koalition wegen des HMI -Reaktors will die Mehrheit der SPD-Parlamentarier vermeiden.

„Die SPD müßte mit dem Klammerbeutel gepudert sein, wenn sie der AL hier den Fanfarenritt aus der Koalition erlauben würde“, schimpft ein Genosse. Die SPD stünde in den Augen vieler Wähler aus dem linken, intellektuellen Milieu als „Atompartei“ da. Selbst manche SPD-Mitglieder würden Michaele Schreyer „auf den Straßen Blumen streuen“, wenn sie wegen ihrer konsequenten Haltung in Sachen HMI die Koalition verlassen müßte.

Heute beraten die SPD-Gremien, welchen Kurs sie angesichts der Schreyerschen Unbotmäßigkeit steuern sollen. Einen CDU -Mißtrauensantrag zu unterstützen und die grüne Senatorin zusammen mit der Opposition zu stürzen - das will selbst Walter Momper nicht. Es bliebe die Möglichkeit, der Umweltsenatorin die Kompetenzen zu beschneiden und ihr die Zuständigkeit für das atomrechtliche Genehmigungsverfahren zu entziehen. Anschließend könnte Schreyers Negativ-Bescheid zurückgezogen und durch einen neuen, positiven, ersetzt werden.

Ob sich die SPD heute tatsächlich dafür entscheidet, Schreyer so rasch wie möglich zu entmachten, ist jedoch unwahrscheinlich. Geht es nach SPD-Fraktionschef Staffelt, gibt es eine Gnadenfrist für die AL-Senatorin und die rot -grüne Koalition - und die könnte bis zu den Gesamtberliner Wahlen am 2. Dezember dauern. Bevor man Schreyer die Kompetenz entzieht, so die Meinung in der Fraktion, müßten zunächst die Akten gründlich geprüft werden. Auf die Schnelle könne schließlich keiner entscheiden, ob die juristische Argumentation der Umweltsenatorin wirklich so einfach vom Tisch zu wischen sei, wie das Walter Momper und seine Senatsmannschaft mit ihrem Verweis auf einen Brief des Bonner Umweltministers Töpfer getan hatten. Ohnehin neigen viele SPD-Fraktionäre eher der Position von Schreyer zu, was die umstrittene Frage der Entsorgung des HMI-Atommülls betrifft.

Das Aktenstudium, so das Kalkül der Fraktionsspitze, könnte mehrere Wochen, wenn nicht Monate in Anspruch nehmen vielleicht bis zum 14.Oktober. Die alliierten Vorbehalte, die es dem Bonner Umweltminister Töpfer heute noch verbieten, direkt in ein Westberliner Atomverfahren einzugreifen, fallen mit der Wiedervereinigung dann weg. Töpfer könnte dann die Drecksarbeit übernehmen und per Weisung für eine Genehmigung des Reaktors sorgen, die Koalition jedoch wäre aus dem Schneider.

Freilich müssen sich die Koalitionsfreunde in der SPD heute erst noch durchsetzen. Sie werden es da womöglich weniger mit Walter Momper selbst zu tun bekommen, als mit einigen Hardlinern aus seinem Beraterkreis. Momper-Sprecher Werner Kolhoff und Bausenator Wolfgang Nagel vor allem wäre ein Ende mit Schrecken lieber als ein Schrecken ohne Ende. Sie wollen die eher rechts gestimmten SPD-Anhänger an die Partei binden, in deren Augen sich die SPD von der AL schon viel zu lange auf der Nase herumtanzen läßt. Hier liegt aber auch der Dissens zwischen Mompers Küchenkabinett und der SPD -Fraktion. Die glaubt nämlich nicht, daß sich am rechten Rand noch viel wiedergutmachen ließe. Die „Polarisierung“, in die Rot-Grün die Berliner Bevölkerung getrieben hat, sei dafür zu „verfestigt“. Die Fraktionsstrategen fürchten deshalb zur Zeit vor allem eins: daß der HMI-Reaktor nicht nur Atome spaltet, sondern auch die SPD-Wählerschaft am linken Rand.

Hans-Martin Tillack