Freikultur mit Feuern

■ Das besetzte Haus in der Grünenstraße erblüht zum kulturellen Treff

Der Blick des Besuchers fällt zuerst auf eine riesige Schutthalde, in der Fahnen, Fahräder und bemalte Bretter stecken. Die Stadt

Bremen hat hier abgerissen, aber nicht einmal das kann sie richtig. Im Zuge des Abrisses stellte sich heraus, daß dieser eine angrenzende Druckerei in Mitleidenschaft ziehen würde - die Arbeiten wurden auf halber Strecke abgebrochen. Jetzt steht da eine einsame Fassade, umgeben von Trümmern, die an 1945 erinnern.

Klein-Kreuzbergien

Die Hausbesetzer haben ein Denkmal daraus gemacht, gewidmet den Wohnraumzerstörern aller Länder. Vom besetzten Haus daneben leuchten Parolen und Transparente: Klein -Kreuzbergien ist hier verwirklicht. Doch neben dem Klischee vom permanenten Häuserkampf hat sich ein Alltag entwickelt, der das Haus zum Anziehungspunkt für Viele macht. Schon die allabendlichen Lagerfeuer lohnen einen Besuch.

Wenn die Bauarbeiter, die nebenan auf Montage ein Einkaufszentrum errichten, herüberkom

men, wird es richtig nett. Der eine erzählt von Friesland und all dem Schnaps, der in seiner Heimatstadt gebrannt wird. Die Zuhörer spitzen die Ohren, essen Kartoffeln aus der Asche und nehmen noch einen Schluck Wein. „Morgen könnt ihr noch mehr von den großen Metallröhren da haben“, so verteilt ein anderer Arbeiter Baumaterial. „Korrekt. Da schweißen wir dann wieder eine Figur draus“, freut sich ein Besetzer.

Mit Matratzen

Neben dieser eigenen Skulpturenproduktion entsteht noch viel andere Kultur im und ums Haus herum. Die Veranstaltungen des Antifacafe werden zur Zeit hier und nicht in der Buchtstraße durchgeführt. Mit Filmen und Diskussionen wird so die Sommerpause der Buchtstraße überbrückt. Konzerte gibt es auch. Vor allem Punkbands treten auf. Viele von außerhalb, manchmal

sogar aus dem europäischen Ausland angereist, auf Tour durch besetzte Häuser.

Die griechische Gitarristin Irene, die zu solch einer Band gehört, freut sich, daß sie im besetzten Haus in der Grünenstraße sogar eine eigene Matratze zum Schlafen bekommt. „You know, in Porta Westfalica I slept outside on the floor, and it was under zero.“

Neustadtfreiraum

Die Stadt, die sich gern als Kulturförderin präsentiert, könnte hier fördern, indem sie einfach ihre Bagger im Zaum hält. Die Hausbesetzer müßten dann nicht immer an Verteidigung denken, und das Haus könnte ohne Stacheldraht und „Barrikaden“ noch viel offener werden.Die Neustadt hat einen kulturellen Freiraum wie die Grünenstraße bitter nötig. Und wo soll ich sonst meine Sommerabende verbringen?

Wolfram Steinberg