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Bis auf weiteres keine Sprechzeit

■ Eine Saalfelder Wohnungssuche als Odyssee / Parteien vor Ort präsentieren sich als inkompetent

Von Stephan Bartel

Am 27. 7. 1990 betrat ich das Rathaus Saalfeld mit der festen Gewißheit, einen Verantwortlichen in Sachen kommunale Wohnungspolitik anzutreffen. Seit Monaten suche ich zweimal wöchentlich das Wohnungsamt auf, um dort eine Zuweisung für eine der vielen leerstehenden Rekonstruktionswohnungen zu erhalten.

Ich gehe also im Rathaus zum Informationsschalter: „Sie wünschen bitte?“ „Ich hätte gern irgendeinen Verantwortlichen in Fragen Wohnungs- und Sozialpolitik, egal welcher Fraktion, gesprochen.“ „Also da ist jetzt keiner mehr“ (9.00 Uhr morgens) „im Haus. Die haben hier sowieso nur Fächer, sitzen ganz woanders. Sie könnten es nur in einer der Geschäftsstellen versuchen.“ „Wo finde ich da bitte eine?“ „Gehen Sie am besten in die Sonneberger Straße, da sitzt die CDU.“

Vorbei an einem sehr glücklich aussehenden Hochzeitspaar, welches gerade das Standesamt betritt, mache ich mich auf den rund 20minütigen Fußweg. Dabei komme ich an der Geschäftsstelle des Neuen Forums vorüber. „Bis auf weiteres keine Sprechzeit“. Das Schild ist schon vergilbt. Mit frischem Elan, weil nun an der richtigen Stelle, betrete ich das Geschäftsgebäude der CDU. Ein kleiner handgeschriebener Zettel an der alten Glastür: „CDU-Geschäftsstelle geschlossen wegen Dienstberatung in Erfurt“.

Was nun anfangen? Ich frage eine Postfrau auf der Straße nach den Adressen anderer Parteien. So gelange ich nach wiederum 20minütigem Fußmarsch zur Geschäftsstelle der SPD. Ein alter Hinterhof, nicht abgeholte Altstoffe (man hat das jetzt nicht mehr nötig), ein krakelig geschriebenes Plakat mit einem Pfeil, über dem stand: „Hier geht es lang“. Ich folge einer alten Holztreppe bis in den zweiten Stock, dann links um die Ecke, dann rechts; ich klopfte an der Tür.

„Guten Tag, Barthel mein Name, ich hätte gern den Verantwortlichen Ihrer Fraktion in Fragen Wohnung und Soziales gesprochen.“ „Sind Sie von der Presse?“ „Nein, privat.“ „Ach so, na einen Moment.“

Diesen kurzen Wortwechsel führte ich mit Frieder Lippmann, Volkskammerabgeordneter der SPD.

„Ja, wie können wir Ihnen da helfen?“ Fragende Blicke zu zwei anderen Personen im Raum. „Zuständig wäre da Uwe Wolfram, der ist aber, glaube ich, gar nicht da, außerdem ist er Ehrenamtlicher.“ „Gibt es denn hier keine Sprechzeiten?“ Langsam glaube ich mich in einem Panoptikum. „Wissen Sie, was Sie jetzt machen: Sie gehen zu Herrn Kißauer, das ist unser Fraktionschef, der kann Ihnen weiterhelfen.“ „Wo finde ich denn Herrn Kißauer?“ „Der ist fast immer zu Hause anzutreffen, Rainhardtstraße 41.“ Der 30minütige Fußweg zum Fraktionschef macht mir schon keine Schwierigkeiten mehr. Kurzes Klingeln an der Wohnungstür des Blocks im 50er-Jahre-Stil. Ein Mann im Unterhemd und grünen, Verzeihung, blauen Turnhosen, fettige Hände, öffnete mir die Tür. Ich habe Herrn Kißauer, Fraktionschef der SPD der Kreisstadt Saalfeld beim Zerlegen eines Broilers gestört. Ich darf in der Küche neben oben genanntem Tier Platz nehmen, um kurz meine Anliegen zu erläutern. Ich erkläre meine Situation und daß ich keine Alternative mehr weiß. Bei einem Rundgang durch Saalfeld wären mir allein in einem Viertel fünf, zum Teil rekonstruktionsbedürftige Wohnungen aufgefallen, die bereits bis zu einem Jahr und länger leerstehen.

„Ja wissen Sie, Herr Barthel, die Partei verfügt leider nicht über Wohnraum. Außerdem muß ich Ihnen gestehen, wir haben uns noch gar nicht so intensiv mit der Frage beschäftigt, da gibt es noch andere Probleme, beispielsweise der Handel...“ „Die Wohnungsfrage ist aber doch mit das dringendste soziale Problem, sollen denn erst alle Jugendlichen in den Westen gehen. Es verfallen ja sichtlich die Häuser. Ich kenne so viele Beispiele, wo Freunde nicht anders konnten, als das Land zu verlassen. Ich möchte das aber nicht, ich möchte als zukünftiger Krankenpfleger hier mithelfen.“

„Ja, unsere Partei hat zum Beispiel schon verschiedene Appelle gerichtet, unterbelegten Wohnraum doch zu tauschen.“ Es folgte die Geschichte einer Witwe, die ein Kinderzimmer besitzt im Gegensatz zu einer Familie mit Kind ohne Kinderzimmer. „Der verantwortliche Stadtrat in diesen Fragen, Herr Schilpe, CDU, weiß auch von diesen Problemen. Und meine Einschätzung ist, die alten Funktionäre, die noch immer genügend Macht besitzen, legen auch ganz bewußt Steine in den Weg.“ „Ja, was raten Sie mir denn jetzt in meiner Angelegenheit, soll ich mal die Bürgerberatung aufsuchen, gibt es so was überhaupt, ich kenne das nur von Jena?“ „Als erstes muß ich Ihnen gestehen“ (das zweite Mal dieser Begriff), „es gibt noch keine öffentlichen Sprechstunden der Abgeordneten. Ich rate Ihnen, stellen Sie einen Initiativantrag an den Bauausschuß der Stadt, nennen Sie Ihre Probleme, zeigen sie Bereitschaft zur Eigeninitiative.“ Ich bedanke mich, verlasse die Küche und denke über das Geschehene nach. Vielleicht hätte ich mit dem Fahrrad fahren sollen, dann wäre ich pünktlich zum Mittag gekommen.

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