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„Berliner Linie“ jetzt auch im Osten

■ Einst eine Erfindung der Sozialdemokraten in West-Berlin, feiert die sogenannte „Berliner Linie“ im Umgang mit Haubesetzungen nun auch fröhliche Urstände im Ostteil der Stadt. Über Räumung oder Instandsetzung besetzter Häuser entscheiden Politiker aus dem Westen.

Hausbesetzungen in Ost-Berlin

Berlin ist, wieder einmal, die Hauptstadt der Besetzerbewegung. Über hundert Häuser wurden in wenigen Monaten besetzt, Transparente flattern, Gorbi-Plakate und Aldi-Einkaufswagen grüßen von den Balkonen. Wie vor zehn Jahren im Westteil der Stadt, holt nun der Osten die Geschichte nach, aber im dreifachen Tempo.

Auch, wie bislang im Osten mit den Häusern umgegangen wurde, erinnert stark an die sozialdemokratische Kahlschlagsanierung der 70er Jahre im Westen. 440.000 Häuser in Ost-Berlin, das ist fast die ganze gründerzeitliche Innenstadt, wurden von der früher volkseigenen, seit neuestem städtischen KWV, der kommunalen Wohnungsverwaltung, mehr schlecht als recht verwaltet. Der SED galten die Mietskasernen als „Relikt der alten Ausbeuterordnung“, so der damalige Berliner SED-Chef Günter Schabowski. Ganze Straßenzüge wurden „leergezogen“, wie es im Planerdeutsch heißt, um Platz für Autoschneisen zu schaffen. Daneben blieben eine Reihe Wohnungen leer, weil die KWV schlicht nicht in der Lage war, die Wiedervermietung zu organisieren. Von 27.000 leeren Wohnungen spricht man heute, vermutlich sind es mehr. Nur einige tausend davon sind besetzt.

Ganze Straßenzüge leergezogen

Ähnlich war es Anfang der 80er Jahre in West-Berlin. Leerstand und geplante Kahlschlagsanierung war, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht das Werk einiger böser Spekulanten, es war das - aus dem Ruder gelaufene - Ziel der Wohnungspolitik des SPD-Senats und seiner damals noch gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften. Fast 200 Häuser vor allem der BeWoGe in Kreuzberg, der DeGeWo im Wedding oder der Neuen Heimat in Charlottenburg wurden nach und nach besetzt, um sie vor Verfall und Abriß zu retten. Anfang 1980 verkündete der Berliner Bürgermeister Hans-Jochen Vogel (SPD) die „Berliner Linie“: Häuser sollten demnach nur geräumt werden, wenn Sanierungsarbeiten unmittelbar bevorstünden oder ein Abrißantrag oder ein Strafantrag des Eigentümers bestehe. Die Polizei sollte sich zurückhalten, keine Konflikte suchen und vor allem neue Besetzungen verhindern. Ganz rasch wurden 20 Millionen ausgeschüttet, für die Instandbesetzer, wie es zunächst hieß, dann stellte sich heraus, daß das meiste Geld bei den städtischen Gesellschaften versickerte.

Die gleiche „Berliner Linie“ verkündete West-Berlins jetziger Bausenator Wolfgang Nagel, ebenfalls SPD, im Juli für Ost-Berlin. Dort amtiert zwar ein eigenständiger Magistrat samt Baustadtrat, aber Nagel hat inzwischen nicht nur seinen Referenten Fuderholz zum Stellvertreter und de -facto-Stadtrat im Ostteil der Stadt gemacht, auch die Abteilungsleiter seiner Senatsbauverwaltung sitzen im Ostberliner Rathaus. Selbst die KWV-Geschäftsleitung wurde inzwischen von Mitarbeitern der West-Berliner Wohnungsbaugesellschaften übernommen.

Berliner Linie auch

im Osten

Auch in Ost-Berlin ist, wie damals im Westen, eine sofortige Sanierung weder machbar noch finanzierbar: Sie würden Milliarden kosten, der Magistrat hat aber für den Rest des Jahres mal gerade 155 Millionen für Instandsetzung in der Kasse, das meiste davon als Zuschuß aus dem Westen. Zwar kündigte Nagel an, 25 Millionen als Sofortmaßnahme zur Haussanierung an Initiativen verteilen zu wollen. Davon sind bis jetzt aber nur sechs Millionen bewilligt, das meiste davon versickerte bei der KWV.

Die „Berliner Linie“ in West-Berlin, später von der CDU weitergeführt, erwies sich bald als Zuckerbrot-und-Peitsche -Strategie. Unter Berufung darauf wurden einzelne Häuser geräumt, der jeweils übriggebliebene Rest mit Versprechungen ruhiggestellt. Räumungskriterium war wohl eher, ob die jeweiligen Besetzer ordentlich und angepaßt genug waren für ihr jeweiliges Wohnviertel. Einige nach Berliner Linie geräumte Häuser stehen heute noch leer.

Auch im Osten wenden sich so langsam die Zeichen der Zeit. Zur Zielscheibe auch von Nagel und Fuderholz wurden die zahlreichen West-Besetzer in Ost-Häusern, die teils bis zu 90 Prozent der Bewohnerschaft stellen, während beide gleichzeitig den Mietwohnungsmarkt für Westler drüben geöffnet haben. „Wir werden Leuten kein Geld zur Instandsetzung geben, die wir in West-Berlin räumen lassen würden“, meinte Fuderholz.

Überlebensfähige Baugenossenschaften in einzelnen Häusern könnten jedoch Verträge bekommen, stellte der Chef der KWV Prenzlauer Berg, Klaus Nicklitz, in Aussicht. Der Mann ist gleichzeitig Vorstand der Westberliner Neuen Heimat und, natürlich, Sozialdemokrat.

Eva Schweitzer

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