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Bocksprung durch drei Jahrhunderte

■ Postbarock und Postmoderne auf den Tanztagen im August

Hätte das Jahr nur sechs Monate, man könnte den getanzten Jahreszyklus “...mit unbemerktem Schritt gedreht“, den die Compagnie „L'autre pas“ nach einem Tanzbuch des frühen 18.Jahrhunderts entwickelt hat, gelassen genießen im Schloßpark Charlottenburg. Doch das Entzücken über die niedlichen Kostüme, einen neckisch verschlafenen und verfressenen Amor, über eine tänzelnde Wildsau und die surreale Prozession der Krähen, über ewig lächelnde Schäferinnen und graziös trunkene Bauern tröstet schwerlich 12 Episoden lang über die harten, lehnenlosen Sitzbänke hinweg.

Doch abgesehen von der Länge der Bildergirlande, hat „L'autre pas“ diesmal der Stereotypie der alten Tanzschritte, der Kleinheit und Enge ihre Gesten erfolgreich den Kampf angesagt, ohne aber den Rahmen des Zierlichen und Anmutigen zu sprengen. Die Gruppe beweist eine größere Freiheit als bisher im Umgang mit dem historischen Material. Darin unterstützt sie die Musik von Lee Santana, der „viel mit Zitaten herumgemanscht“ hat und den gemessenen Klang mit ungezügelten Passagen durchbricht, die Feierlichkeit persifliert und die Symmetrie verzerrt. Er mixt jaulenden Jazz und perlende Salonmusik hinein, die, von Barocklaute und Viola da gamba life gespielt, eine neue Anzüglichkeit gewinnen. Ebenso bricht im Tanz die Corsage der ins Ornament gepreßten Emotionen auf. Da fliegen die Beine höher, werden die Drehungen schneller, die Sprünge weiter, als es noch die auf Authentizität bedachte Rekonstruktion erlaubte. Programmatisch für den Regelverstoß scheint die Burleske des Monats September, in der ein knackiger Satyr die Bacchus erlegenen Bürger zu bocksbeinigen Sprüngen veranlaßt, von denen aus es nicht mehr weit zu Exaltation eines Nijinsky zu sein scheint.

Das Zerbrechen tradierter Schönheitslinien zu demonstrieren, scheint auch Absicht von Douglas Dunn und seinen Tänzern in „Skye Eye“. Zwei Glaubenssätze - „Jede Bewegung ist erlaubt. Keine Bewegung darf vorhersehbar sein.“ -, die sich der postmoderne Tanz in seiner Phase der Abkehr vom Modern Dance vor drei Jahrzehnten in den USA auf seine Fahnen schrieb, werden von den drei Männern und drei Frauen perfekt erfüllt. Den Körper oft nicht von der gewohnten Spannung des Tänzers gehalten, sondern schlaff schlendernd, mit baumelnden Armen, vollziehen sie dann doch komplizierte Bewegungsmanöver und erreichen durch kaum nachvollziehbare Gewichtsverlagerungen unvorhersehbare Richtungsänderungen. Sie wedeln mit den Armen, strampeln mit den Beinen und werfen sich beiläufig weg. So schafft es der im Dienst der Tanzrevolution ergraute Douglas Dunn auch nach zwanzig Bühnenjahren noch, wie ein Versehen auf der Bühne zu wirken. Jedes Gehen über die Bretter, die hier nichts bedeuten, von der automatischen Last der Aussage zu befreien, die die Geschichte von Illusion und Theatralik ihm aufgedrückt haben, wird Voraussetzung weiterer Bewegung.

Mit eingefrorenem Blick listen die Tänzer einen phantasiereichen Bewegungsreichtum auf vom unkontrollierten Zappeln des Kindes bis den innigen Posen aus Heiligenbildchen, auf denen jede Fingerspitze transzendierende Blitze sendet. Sie durchqueren den Raum zwischen allegorischen, künstlichen, stilisierten, zufälligen und dem Ethnotanz entwendeten, scheinbar ursprünglichen Bewegungsmustern, ohne irgendeinem Stil die Illusion von Authentizität zuzugestehen. Zu westafrikanischen Trommeln karikieren sie die Sucht der westlichen Künste, sich an rituelle Wurzeln der Energie wie an elektrische Leitungen anzuschließen. Zur sakralen Musik des Mittelalters verweisen sie noch einmal auf die spirituelle Quelle abgezirkelter Schritte zurück, um dann abzuschwirren und, knickebeinig hüpfend und artistisch drehend, ein Chaos zu entfachen, das einem die fragende Bewunderung abnötigt, durch welche Sensoren sie es schaffen, sich nicht umzurennen. In dieser nur von der Realität der Tänzerkörper bedingten Improvisation das Modell einer chaotischen Gesellschaft, die das ständige Reagieren auf Außenimpulse verlangt, zu erkennen, wie es die amerikanische Tanzinterpretin Debroah Jowitt vorschlägt, ist verlockend.

Doch mit der Verweigerung von teilnehmenden Emotionen und dem Verlangen nach einem kühlen, analytischen Blick teilen sie ihr Publikum in Kenner und Laien. Ihre Demontage von Anmut und Würde, Pathos und Authentizität, Illusion und Theatralik, zu bewundern und die Schwierigkeit, als professionelle Tänzer die Offenheit des Laien zu behalten, anzuerkennen, scheint paradox.

Katrin Bettina Müller

„L'autre pas“: “...mit unbemerktem Schritt gedreht“ am 18. und 19. September, um 20.30 Uhr, im Schloßpark Charlottenburg.

Douglas Dunn „Sky Eye“, am 18. September, um 20.30 Uhr, im Hebbeltheater.

Myriam Naisy „Echoes“ und Kei Takei „Light“, am 18. September, um 20.30 Uhr, in der Schiller-Theater Werkstatt.

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