: Das wahrscheinlich männliche Plastikkind
■ Warum der Quotierungsmann nur die Frau am Totenbett erträgt und was im Zimmer 203 geschah
Die Europäische Sommerakademie für Film und Medien sollte ein anspruchsvolles Projekt werden, bei dem die Zeit zum Sehen so verlangsamt werden sollte, daß Sehen wieder möglich wäre. Noch viel besser, Verstehen sollte möglich sein und am besten, Neues sollte entdeckt werden. Das jedenfalls scheint der hochkarätige Anspruch des Unternehmens zu sein, wenn man die Worte des Organisators und Leiters der Abteilung Film in der Akademie der Künste, Peter Lilienthal, für bare Münze nimmt. Wie so oft wird alles, bei dem Neues endeckt werden soll, in die Farbe des Stiers getaucht. Die Farbe des Stiers deshalb, weil man ihm eine potente Zeugungskraft zuschreibt. So ist es dann nicht weiter verwunderlich, daß bei diesem ehrgeizigen Projekt außer ein paar Alibifrauen, wie Valie Export oder Doro O., nur Männer vertreten sind. Eines der Projekte, bei dem Frauen zu Wort kommen sollten, war der Workshop an Drehbüchern von sowjetischen Frauen, der letzte Woche stattfinden sollte. Die Teilnahme jedoch war ausgeschlossen.
Schon das Plakat zur Europäischen Sommerakademie läßt keinen Zweifel daran, wessen Blick ins Bild gerückt wird. Ein in die Jahre gekommener Mann mit einer vernachlässigten Bauchgegend, die sich demzufolge eines gewissen Fettansatzes rühmt, hält sich eine Kamera vors Gesicht und guckt durch. Daß der Mann früher eher der dynamischen Spezies zuzurechnen war, also vermutlich Revolutionär oder etwas Ähnliches war, läßt sich eindeutig an den Turnschuhen, der bekannten frankophilen Marke, ablesen. Der Blickwinkel, von dem aus diese Sommerakademie gestaltet wurde, ist damit klar: es ist die des verzweifelt an seiner Weltsicht festhaltenden, etwa 45jährigen Intellektuellen, der da im Schatten seines verlorenen Stiers am Werk ist. Es ist der Quotierungsmann, der den Frauen großzügig, wenn es hoch kommt, zehn Prozent seines Territoriums überläßt.
Die Fotos im Programmheft sind eine Bestätigung der bösesten Vorahnung: Da gibt es eine Frau am Totenbett, eine Frau mit zwei Kindern auf dem Arm, eine Frau, die in der Fabrik zwischen Maschinen zusammengebrochen ist, eine Frau, der von überblendeten Männerhänden der Mund zugehalten wird, eine Jüdin, die von Männerhänden aus einem Foto ausgeschnitten wird und eine Plastikmöse oder ein dunkles Loch mit angedeuteten Beinen dran, vor der das gerade herausgekommene, wahrscheinlich männliche Plastikkind liegt. Das sind die sechs Fotos, auf denen Frauen drauf sind. Zwölf Bilder gibt es dagegen mit Abbildungen von Männern. Allein drei Fotos davon zeigen Männer mit Kameras. Die Männer auf den anderen Fotos sind bis auf den Alten im Rollstuhl ebenfalls Herren der Lage.
So weit, so schlecht.
Das Vorhaben, mit sowjetischen Frauen an Drehbüchern zu arbeiten, klang dagegen gut. Helke Sander, die Regisseurin von Filmen wie Der subjektive Faktor, sollte die Leitung des Workshops haben. Die Drehbuchautorin Iraida Pismennaja und Natalja Rjasanzewa sowie die Kamerafrau Tanjana Loginowa und die Regisseurin Ella Milova waren die russischen Gäste.
Der Ort des Geschehens sollte das Zimmer 203 in der Akademie der Künste sein. Ein Übersetzer war anwesend. Die Raucherinnenfrage gelöst. Das Anfangsstatement von Helke Sander gehalten. „Wenn ein Mann auf eine Frau trifft, ist das, wie wenn ein Eskimo auf einen Afrikaner im Dschungel trifft.“ Etwas besser ausgeführt: „Die Welt der Männer unterscheidet sich von der Welt der Frauen, wie sich die Welt der Eskimos von der Welt der Eingeborenen im Dschungel unterscheidet. Mit dem einzigen Unterschied: Die Welt der Männer wird der Welt der Frauen einfach übergestülpt. Film ist dabei nichts weiter als ein Spiegel dieser Verhältnisse. Frauen werden im Film lediglich durch ihr Geschlecht definiert, während Männer durch ihren kulturellen Standpunkt und ihr Geschlecht definiert sind.“ Wenn die Fotos im Programm für die Filme stehen, hat Helke Sander mit ihrer Behauptung eher recht als unrecht. Humphrey Bogart wird eben auf einen Stuhl gestellt, wenn er Ingrid Bergmann küßt, damit sie ja nicht größer ist als er.
Viel mehr wurde auf dem Seminar nicht gesagt, denn im Zimmer Nr. 203 saßen Frauen aus der Sowjetunion, der DDR, der BRD und Berlin. Was auf den meisten Treffen von Frauen aus Ost und West zu den immer wieder gleichen Schwierigkeiten führte, fand auch hier statt. Die Positionen der westdeutschen Frauen sind den ostdeutschen Frauen zu extrem, und die Russinnen wollten sich sowieso lieber Berlin anschauen als im Zimmer 203 Antworten auf Fragen zu geben, die erst der nächste Schritt der Filmperestroika sein können. Der erste Schritt ist vorerst, die zensierten Filme wieder aus dem Archiven zu bekommen.
Nach ein paar verzweifelten Versuchen, in Zimmer 203 doch noch eine Diskussion zustande zu bringen, Versuchen, in denen unter anderem wieder einmal davon gesprochen wurde, daß ein Traumraum für eine Frau ein Traum, für einen Mann aber ein Raum ist (genau! und beides ergänzt sich glücklicherweise, denn weder ein traum ohne raum noch ein raum ohne traum ist ein traumraum. vielleicht haben das die ostdeutschen frauen - und männer? - schon längst begriffen. sezza), wurde das Seminar abgebrochen.
Waltraud Schwab
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