: Einigung ohne Einigungsvertrag
■ Die Vertragsfrage legitimiert nicht mehr die große Koalition
Würdelosigkeit notierten die bundesdeutschen Blätter in gedämpfter Erschütterung angesichts des letzten Akts der DDR -Regierung. Doch Würde zu entwickeln, dafür gab's weder die Zeit noch die Macht. Jeder Versuch der Selbstbehauptung von DDR-Politikern gegenüber der Verhandlungs-Übermacht der Bundesregierung wurde von eben denselben Zeitungen diskriminiert. Nun hat die ökonomische Krise die schwache politische Struktur der DDR zerschmettert: zum Sozialdarwinismus nach der Währungsunion ist der Politdarwinismus hinzugetreten.
Eine Alternative tritt mit unverhüllter Brutalität hervor: Soll die SPD die Verhandlungen zum Einigungsvertrag unterstützen, oder soll es einen Beitritt der DDR geben, in dem zwei der wichtigsten Fragen, der Länderfinanzausgleich und die Eigentumsfrage, vertraglich nicht geregelt sein wird. Diese Alternative hat beträchtliches demagogisches Potential. Die SPD könnte in Gefahr laufen, auf Jahre hin fürs Elend in der DDR verantwortlich gemacht zu werden, weil sie nicht die Zweidrittelmehrheit zum Einigungsvertrag erbringen konnte. Aber einen machtvollen politischen Konsens in der DDR gibt es nicht mehr, der den Egoismus der Bundesländer brechen könnte. Die DDR-Seite am deutsch -deutschen Verhandlungstisch ist zusammengebrochen. Es ist besser, wenn die Armut der östlichen deutschen Länder sans phrase zur Realität wird, als wenn in einem Einigungsvertrag diese Armut, ein Dauersteuerdefizit, auch noch vertraglich festgeschrieben wird. Die Verhandlungslage jetzt begünstigt nur Knebelverträge. Bleibt die Eigentumsfrage: Bei den bisherigen Versuchen der Privatisierung von Volkseigentum hat sich gezeigt, daß die DDR-Regierung nicht fähig ist, ein gesellschaftspolitisches Konzept zu entwickeln. Die Vorkaufs - und Schutzrechte haben nur die Anarchie der Jagd nach dem Eigentum verschärft. Selbst wenn es keine Gegenreform zur Bodenreform gibt - die Struktur der Bauernschaft in der DDR ist jetzt schon zerbrochen. Es ist wahrscheinlich richtiger, die soziale Realität einer zerbrochenen DDR-Gesellschaft hinzunehmen als in Hast und unter Wahlkampfbedingungen noch schlechte Verträge zu machen. Schlechte Verträge nützen bekanntlich immer dem, der Geld hat. Ein neuer deutscher contrat social ist notwendig. Aber zwischen einem übermächtigen und einem zerbrochenen Staat kann er nicht ausgehandelt werden. Er muß im vereinten Deutschland politisch erkämpft werden.
Klaus Hartung
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