: „Was hat ein Wanderarbeiter zu verlieren außer dem Leben?“
■ Lloyd Vogelmann ist Direktor des „Projektes zur Studie von Gewalt“ an der Johannesburger Witwatersrand Uni
INTERVIEW
taz: Was sind die Ursachen der Gewalt rund um Johannesburg, die in den letzten Tagen über 170 Menschenopfer forderte?
Lloyd Vogelmann: Da gibt es eine Reihe von Faktoren. Einmal die Spannung zwischen Inkatha und anderen politischen Gruppierungen. Diesen Spannungen fielen in Natal Tausende, im weiteren Sinne Zehntausende von Menschen zum Opfer. Die vielen Wanderarbeiter brachten diese Konflikte auch in die Transvaal-Region mit. Hinzu kommt - das sollte man bei allem nicht vergessen - daß Apartheid-Politik ja auf der Trennung aller Ethnien beruht. Das ging so weit, daß in den Wohnheimen Zulu und Xhosa getrennt untergebracht wurden, selbst von Raum zu Raum. Als weiteren Faktor muß man sehen, daß zumeist Zulu sprechende Wanderarbeiter in den Wohnheimen isoliert sind. Sie sind nicht Teil der Gemeinde, und obwohl Wanderarbeiter am untersten Ende der Arbeitshierarchie stehen, sie haben zumindest Arbeit, ein Dach über dem Kopf, fließendes Wasser. Das haben viele in den Townships nicht.
Die Jugendlichen forderten gestern, die Wanderarbeiter sollten zurück nach Natal gehen und man würde die Slumbwohner in Soweto in die Wohnheime bringen.
Ja, trotz ihrer Armut werden die Wanderarbeiter als relativ privilegiert angesehen. Soweit zu den obigen Faktoren. Aber dennoch unterscheidet sich das Ausmaß der jetzigen Gewalt von den spontanen Gewaltausbrüchen 1976 und 1984. Die jetzige Gewalt ist koordiniert, geplant. Die Wohnheime werden fast wie Militärbasen benutzt. Dort werden die Attacken geplant, und wenn es Gegenangriffe gibt, benutzt man die Wohnheime als Festung.
Wer könnte Ihrer Meinung nach von den Auseinandersetzungen profitieren?
Meiner Meinung nach profitieren nur zwei Organisationen davon, auch wenn ich momentan nicht behaupten will und kann, daß sie direkt verantwortlich sind. Der ANC jedenfalls hat von dieser Gewalt nichts. Im Gegenteil. Seine lokalen Organisationsstrukturen werden darunter leiden, sie werden noch disorganisierter, verlieren Unterstützung unter den Zulus. Vielleicht muß der ANC sogar den Waffenstillstand aufgeben. Diese ganze Gewalt ist jedenfalls nicht in seinem Interesse, ebenso wenig wie in dem der Regierung. Wir sind hier nicht in Natal. Hier ist das industrielle Herz Südafrikas, hier wird der Reichtum produziert. Gewalt würde mehr und mehr Weiße in die Arme der „Konservativen Partei“ treiben. Der Reformprozeß würde gestoppt werden, und das ist auch nicht im Interesse des Big Business.
Wem nutzt die Gewalt also?
Einmal sicherlich Inkatha. Seit Mandelas Freilassung wurde die Zulu-Bewegung mit ihrem Hauptzentrum Homeland Kwazulu an den Rand der politischen Bühne gedrängt. Der ANC ist legalisiert, er kann seine Ideen ausdrücken, verbreiten, ist Teil der zentralen Verhandlungen mit der Regierung. Mandela weigerte sich bisher, mit Buthelezi zu reden. Jetzt heißt es, die Gewalt sei außer Kontrolle geraten, und man müsse mit Inkatha verhandeln. Diese Gewaltwelle bringt Inkatha wieder ins Zentrum der politischen Bühne.
Die andere politische Kraft, die profitiert, sind die „Konservative Partei“ und bestimmte Kräfte in der Regierung, die den Reformprozeß torpedieren wollen. Viele Polizisten stehen den reaktionären Konservativen nahe. Sie brauchen die Gewalt nur weiter anzufachen.
Warum greift die Gewalt gerade jetzt um sich? Spannungen gibt es doch schon viel länger.
Überall kursieren Gerüchte, vielleicht werden sie auch lanciert. Die Situation ist sehr empfindlich, heikel im Moment. Es wird erzählt, die apolitischen, einfachen Wanderarbeiter seien agitiert worden. Leute wären gekommen und hätten gesagt, die Zulus würden bald angegriffen, und Inkatha könne sie beschützen. In weißen Gegenden wird von Vergewaltigung, Aids und schwarzen Vigilantentrupps geredet. Sobald Unsicherheit existiert, gibt man sich keine Zeit, Gerüchte zu überprüfen. Sie verbreiten sich so schnell, wie die Angst um sich greift.
Ist das eine neue Entwicklung?
Es ist anders als sonst, weil die Gewaltausbrüche so exzessiv sind. In Transvaal hatten wir nie eine solche Gewalt, die in zwei oder drei Tagen 140 Menschen tötete. Und es ist auch anders, weil alles sich mittels der Wanderarbeiter artikuliert und ethnisch manifestiert. Die Polizei trägt zur weiteren Verunsicherung und Zunahme von Gewalt ihren Teil bei, weil sie von vielen als parteiisch betrachtet wird. Also nehmen die Leute die Sache selbst in die Hand. Diese Gewaltspirale zu stoppen, ist sehr schwer. Wenn die jetzige Gewalt nicht aufhört, dann wird sie sich perpetuieren.
Und was könnte getan werden, damit die Gewalt aufhört?
Letztlich geht es um Ressourcen. Die sozioökonomischen Verhältnisse müssen sich zugunsten der Bevölkerung verändern. Die Gewalt würde weniger, wenn nicht der Kampf um Essen, Arbeit und Wohnraum wäre. Sobald die Leute für sich eine Zukunftsperspektive sähen, etwas, das sich zu verteidigen lohnte, sie wären viel vorsichtiger mit dem, was sie täten. Was aber hat ein Wanderarbeiter in seinem Wohnheim zu verlieren - außer seinem Leben?
Interview: Hans Brandt
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