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Hauptstadt Schwerin? „So geiht dat nich!“

■ Kreistage und kreisfreie Städte votieren für Schwerin als Landeshauptstadt von Mecklenburg/Vorpommern

Schwerin (taz/dpa/adn) - Der Streit um die künftige Landeshauptstadt von Mecklenburg/Vorpommern geht weiter. Sofort nach der Bekanntgabe Schwerins als vorläufiger Landeshauptstadt meldete sich eine Rostocker Arbeitsgemeinschaft „Mündiger Bürger“ mit einem „Aufruf zum Veto“ zu Wort. Unter Hinweis auf den Landesverfassungsentwurf wird energisch verlangt, das Volk in die Entscheidungen einzubeziehen: „Man kann derartige Entscheidungen nicht dirigieren, zum Teil fraktionsgelenkten Abgeordneten überlassen. Vor allem nicht, wenn sie mit Kaffeefahrten finanziert und manipuliert worden sind.“ Die Bürger werden aufgefordert, für eine Volksabstimmung über die künftige Landeshauptstadt im Norden Unterschriften zu sammeln.

Für Schwerin als Landeshauptstadt hatten sich die Abgeordneten der Kreistage und kreisfreien Städte des künftigen Landes am Donnerstag mit einer Stimmenmehrheit von 17 zu 9 entschieden. Die Wahlkommission mußte elf Ergebnisse wegen Formfehlern für ungültig erklären. Die Entscheidung muß noch durch den Landtag bestätigt werden. Einspruch gegen die Abstimmungspraktiken hat auch der Rostocker Regierungsbeauftragte Hans-Joachim Kalendrusch erhoben. Der Verkündung des Abstimmungsergebnisses war er bereits demonstrativ ferngeblieben. Sein Schweriner Amtskollege Dr. Georg Diederich bezeichnete das Abstimmungsergebnis als „Vorentscheidung“, die der Stimmung in der Bevölkerung entspreche. Er wolle die Mitbewerberin Rostock nicht als Verliererin betrachten, sondern meinte, daß jetzt „uneingeschränkte Solidarität“ notwendig sei. Ostseemetropole und Wirtschaftshauptstadt Rostock, Kulturstadt und Verwaltungszentrum Schwerin, damit könnten nach Meinung des Schweriner OB Kwaschik auch die Zögerer in der Hauptstadtfrage leben.

„Landslüd - so geiht dat nich!“ kritisierte der Mecklenburger Heimatbund die hitzigen Hauptstadtstreiter und appellierte an Sachverstand und Objektivität. In dem seit Wochen währenden Gezeter halten die Rostocker den Schwerinern vor, zu emotional für ihre Stadt zu werben. So hatte sich Schwerin längst an der Stadtgrenze als Landeshauptstadt ausgewiesen, diesen Vorgriff aber, auch nach Protesten der eigenen BürgerInnen, wieder zurückziehen müssen. Rostock dagegen muß sich den Vorwurf gefallen lassen, mit Gewalt alle Macht im künftigen Bundesland an sich zu ziehen. Kaum zu Wort kamen die Vorpommern, die sich seit der Öffnung der Grenze als „Hinterhof Mecklenburgs“ sehen. Ihre Stimmen wurden zum Zünglein an der Waage bei der Abstimmung. Will die künftige Landeshauptstadt bei großen Teilen der Bevölkerung akzeptiert werden, muß sie sich der Verbesserung der Infrastruktur im Gebiet zwischen Rügen und Anklam besonders zuwenden.

Schon in der Vergangenheit erwies sich die geografische Lage Schwerins als nicht günstig. Die Haupthandelswege führten an der Stadt vorbei. In diese Kerbe zielen auch heute wieder die Schwerin-Gegner. Dafür weist die 130.000 -BürgerInnen-Stadt einige kulturelle Anziehungspunkte auf, wie das Mecklenburgische Staatstheater mit der über 425jährigen Mecklenburgischen Staatskapelle und das weltweit als „Holländer-Museum“ geschätzte Staatliche Museum Schwerin. Der gotische Dom mit seiner wertvollen Ladegast -Orgel, das Schloß, barocke und klassizistische Bauten prägen das Bild der „Stadt der Seen und Wälder“.

Rostock dagegen blickt auf eine reiche Handelsgeschichte zurück. Nach dem Niedergang der Hanse, dem 30jährigen Krieg und fast hundert Jahre währender Besetzung durch verschiedene Heere erlebte die Stadt aber erst im 19. Jahrhundert wieder einen Aufschwung. Nach 1945 entstanden in der zu 40 Prozent zerstörten Stadt Betriebe wie der Überseehafen, die Warnowwerft, das Fischkombinat. Mittelalterliche Kirchen und Stadttore, die im alten Hafen erhaltenen Speicher und die Bürgerhäuser erinnern noch heute an die Blütezeit der Hanse.

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