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„Es geht nicht um freie Sexualität, sondern um ein knallhartes Machtsystem“

■ Interwiew mit einem Kommune-Aussteiger / „Freie Sexualität“ als ausgeklügeltes System von Belohnung und Strafe

Michael T. hat insgesamt sechs Jahre in Kommunen gelebt, in denen „freie Sexualität“ als oberstes Prinzip auf dem Weg zu einer neuen Gesellschaft befreiter Individuen galt. Zwei Jahre in der „Aktions-Analyse„-Kommune (AAO) des Happening -Künstlers Otto Muehl, bei dem Mitte der 70er auch der promovierte Sozialwissenschaftler Dieter Duhm (bekannteste Veröffentlichung: „Angst im Kapitalismus“) die ersten praktischen Kommune-Erfahrungen sammelte. Später vier Jahre in eigenen Kommune-Projekten. In dieser Zeit arbeitete Michael T. auch mit Duhm zusammen, lebte zeitweilig auch in Duhms erstem Kommune-Projekt, der „Bauhütte“ im schwäbischen Schwand. Die taz sprach mit Aussteiger Michael T., der heute als ausgebildeter Psychologe und Jurist in Bremen lebt, über das, was sich hinter den zugezogenen Kommune-Türen abspielt.

taz: 60 Kilometer von Bremen suchen derzeit 600 Menschen auf einem Zeltplatz den neuen, glücklicheren Menschen. Jeder spielt mit jedem Volleyball, jeder redet mit jedem über seine Psycho-Probleme, jeder schläft mit jeder. Wenn man in die Gesichter schaut, kann man tatsächlich den Eindruck kriegen: Die Leute sind glücklich. Ändert sich das, wenn man hinter die Kulissen gucken kann?

Michael T.: Ich weiß nicht, wie's in den Leuten aussieht, die jetzt zum ersten Mal ein solches Zeltlager von Dieter Duhm besuchen. Ich weiß aber, wie es in Leuten aussieht, die sich jahrelang im Umkreis von Dieter Duhm aufgehalten haben. Ich weiß, den Leuten geht es oft überhaupt nicht gut. Ich habe Frauen wochenlang kotzen sehen, ich habe Männer tagelang heulend durchs Haus laufen sehen. Ich habe Leute gesehen, die sich wochenlang in Krankheiten geflüchtet haben. Ich habe Leute sich klammheimlich und regelmäßig den Bauch mit Sahnestückchen vollschlagen gesehen. Ich habe Leute ständig Schnaps in Mineralwasserflaschen umfüllen gesehen. Und: Ich habe in der AAO Otto Muehls und im Projekt „Bauhütte“ seines Schülers Dieter Duhm drei Leute gesehen, die sich selbst umgebracht haben.

Was ist denn die geheime Wahrheit hinter dieser vordergründigen Mischung aus naiv-fröhlichem „Sexpeace“ und verquaster Weltverbesserer-Ideologie?

Meine Erfahrung ist: Die ganze Ideologie „Neuer Mensch, neuer Umgang miteinander, neues Verhältnis zur Natur“ ist Fassade. Dahinter steckt erstens ein handfestes Interesse, Geld zu verdienen - bei allem antikapitalistischen Gehabe sind Duhm und seine Vertrauten vor allem stille Genießer des Kapitalismus - und zweitens eine ganz starre Hierarchie nach innen, die durch ein kompliziertes System der Vergabe und des Entzugs von Privilegien aufrechterhalten wird.

Wie geht das?

Du lebst in so einer Kommune eben nicht nur in einer Welt, in der jeder mit jeder schläft, sondern in der auch jeder jede denunziert. Durch den Anspruch vollständiger Offenheit, wirst Du natürlich auch perfekt kontrollierbar. Dieter Duhm als unangefochtene Autorität weiß immer alles über dich. Darin besteht seine Macht, denn alles was er über dich weiß, kann natürlich auch gegen dich verwandt werden.

Und worin bestehen die Privilegien, die gewährt und entzogen werden können?

Das eine Privileg ist die freie Liebe. Wo hat man das schon, daß man dreimal am Tag mit verschiedenen Frauen schlafen kann? Wo kannst Du Dich schon jederzeit mit vier fünf Leuten zurückziehen, dir Früchte und Sekt mitnehmen und kreuz- und querbumsen. Aber dieses Privileg kann natürlich auch entzogen werden. Wenn Du zum Beispiel plötzlich Zweifel an dem Sinn des ganzen Projekt hast, dann können Dich, heißt es dann, die Frauen eben nicht mehr lieben.

Das ist doch ein ideologicher Bruch, der den Leuten auffallen muß: Du kannst doch nicht einerseits freie Sexualität zum Herzstück Deines Weltbildes machen und sie gleichzeitig als ausgeklügeltes Belohnungs- und Strafsystem einsetzen.

Stimmt. Deswegen sage ich ja auch, es geht im Grunde nicht um freie Sexualiät, sondern um ein knallhartes, autoritäres Machtsystem. Ich habe oft genug erlebt, wie mit dem Entzug von Sexualität und dem Entzug der Gruppen-Solidarität einzelne unter Druck gesetzt wurden.

Ist Dieter Duhm für Dich ein Weltverbesserer, der halt auch ein bißchen Geld braucht oder ist Dieter Duhm ein cleverer Geschäftsmann, der öffentlich mit einer leicht verkäuflichen Ideologie handelt?

Das Stimmvieh und Fußvolk glaubt natürlich den Quatsch vom neuen Menschen. Wenn man dagegen die Methoden, mit denen Duhm intern seine Macht aufrechterhält, den knallharten Druck auf die übrigen Gruppenmitglieder erlebt, dann kriegt man bei ihm natürlich seine Zweifel. Otto Muehl, Duhms Lehrmeister, hat mal verkündet: „Alles Geld auf mein Privatkonto, weil man nur noch mir trauen kann“. Natürlich genießt auch ein Mann wie Duhm seine Rolle als Gockel in einer Kommune mit freier Sexualität und findet diese Existenz wirklich attraktiver als z.B. die eines wissenschaftlichen Mitarbeiters an der Universität mit seriöser Ehefrau. Insofern glaubt er vermutlich das auch, was er predigt.

So oder so - man kann doch nicht den ganzen Tag bumsen, ab und zu muß man doch auch mal ein bißchen Geld verdienen.

Das richtet sich ganz nach dem Einzelfall. Wer einen lukrativen Job hat, arbeitet selbstverständlich in diesem Beruf, solange es mit dem Gruppenleben vereinbar ist. Wer keinen Beruf hat, bietet z.B. Kurse im Auftrag der Gruppe an. Interne Kurse für neue Mitglieder, die dafür bezahlen, oder externe Kurse, wie z.B. jetzt auf diesem Sommer-Camp. Es gibt natürlich auch andere Möglichkeiten, an Geld zu kommen. Ich weiß von einigen Fällen, die in Nachtclubs oder Bordellen gearbeitet haben.

Geht das freiwillig?

Die Version, die ich kenne, lautet: man tut es zu Forschungszwecken. Die Männer sollen erforscht, ihre Sexualität studiert werden.

Glauben das auch die Frauen selbst, die da „zu Forschungszwecken“ anschaffen gehen?

Sie sagen, ja. Aber inzwischen halte ich das natürlich für eine Form des Selbstbetrugs und für ein Indiz dafür, wie weit einen solche Gruppenstrukturen unterdrücken können.

Fragen: K.S.

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