: Ein Mädchen aus Frankfurt
■ Eine Ausstellung, die traurig macht und das Anschauen lohnt: „Die Welt der Anne Frank“
Fotos, lauter Fotos: Edith Frank, still lächelnd, im Wochenbett mit ihrer winzigen neugeborenen Anneliese („Anne“). Daneben das schlafende Baby noch einmal, diesmal im Großformat, sehr süß, sehr friedlich und sehr kurzhaarig, die Fäustchen neben dem Kopf ausgestreckt. Auf der Stellwand davor: Die Eltern Frank auf der Hochzeitsreise in San Remo, für den Fotographen vor Palmen posierend, die Frau etwas plump neben dem schnittigeren Gatten; das Paar sieht glücklich aus. Die vielen Familienfotos entstammen dem Album der Franks, die 1929, zu Annes Geburt, in Frankfurt am Main lebten. Mutter, Vater und zwei Töchter, 1933 nach Amsterdam emigrierten, in ihrem Amsterdamer Versteck verraten und mit dem letzten Transport nach Auschwitz verbracht wurden. Die Fotos aus dem Frank'schen Familienalbum aus der Zeit vor '33 bilden den unspektakulären, aber gefühlig-bannenden Beginn der neuesten Ausstellung in der unteren Rathaushalle: „Die Welt der Anne Frank 1929 - 1945“. In einem kurzen Vorspanntext heißt es über Anne Frank: „Zu Lebzeiten ein normales unauffälliges Mädchen unter vielen.“ Nach der posthumen Veröffentlichung ihres Tagebuchs eine Weltberühmtheit.
Die Familienfotos, ganz „normale“ Albumfotos, (auf denen vielleicht mehr lebendig gestrahlt wird als in deutschen Alben üblich), beziehen ihre Wirkung nicht nur daher, daß die Betrachterin um die große Sensibilität und um das tragische Ende der Anne Frank weiß. Sondern auch daraus, daß sie schmerzhaft vorführen, was an ganz „normalem“, kleinem Familien- und Kinderglück einmal war und nicht mehr ist.
Nach den Frankfurter Familienfotos, kommen Frankfurter Stadtfotos, die Synagm rptz's Hotel aus der Jahrhundertwende mit dem Hinweisschild „Jüdischer Besuch verboten“. Dann die aufkommenden Nazis, das erste Hitler-Foto, als sympathisch lachender Kamerad in Uniform.
Bis die nächsten Familienfotos von Franks zu sehen sind, passiert auf den Fotowänden in der Rathaushalle noch mehr Unheilvolles, aber auch Widerständiges: Karnevalswagen tragen die Aufschrift „Ab nach Dachau“, Jugendliche treffen sich heimlich im Taunus, sich den offiziellen Zusamenschlüssen widersetzend.
Natürlich, die Zeitgeschichte 33-45 ist grob bekannt, einige der Fotos auch, doch die meisten, wie die der antisemitisch gerüsteten Karnevalswagen, sind alles andere als tausendmal gesehen.
Dann wieder Familie Frank: Anne als rankes, schlankes Mädchen im Badeanzug, mittlerweile im holländischen Exil. Der grausame Zug der Zeit hält nicht an: Stelltafel für Stelltafel, Foto für Foto: Die Okkupation der Niederlande, die ersten Razzien, das Untertauchen. Schließlich am Ende: Ein Auszug aus der Deportationsliste für den „Judentransport aus den Niederlanden“, eine schlichte Kopie, die mehr sagt als tausend Erklärungstafeln. „309. Frank, Anneliese.“
Barbara Debus
„Die Welt der Anne Frank 1929 - 1945“, Wanderausstellung in der unteren Rathaushalle vom 17. August bis zum 9. September. Erarbeitet von der Anne-Frank-Stiftung ( Amsterdam). Lokalgeschichtliche Zusatzausstellungen in der unteren Rathaushalle: „Die Geschichte der jüdischen Bewohner in Hastedt“, „Juden in Walle - in den 30er Jahren“ und „Nicht irgendwo sondern hier bei uns“ über die Reichspogromnacht und ihre Opfer im Burg-Lesumer Raum. Auf das umfangreiche Programm an begleitenden Veranstaltungen weist ein Prospekt hin, das bei der Landeszentrale für politische Bildung erhältlich ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen