: Dornen in den Augen
■ Saddam Hussein als Erlöser vom „amerikanischen Freund“ der Saudis?
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Die Geschichte wartet wieder einmal mit ihrer wohlbekannten Ironie auf: Saddam Hussein, Chef der sozialistischen Baath -Partei des Irak, ist zum Testamentsvollstrecker jenes Mannes geworden, den er jahrelang bis aufs Blut bekämpft hat - des Ayatollah Chomeini. Saddam rief - wie der iranische Revolutionsführer in seinem Vermächtnis - die Moslems zum Djahad, dem heiligen Krieg, gegen die „unislamischen“ arabischen Königshäuser und ihre westlichen Verbündeten und zur Befreiung der heiligen Städte des Islam von der saudischen Herrschaft auf. Was dem verstorbenen Imam in Teheran als Perser und Schiiten verwehrt blieb - die sunnitischen Moslems der arabischen Welt für seine Ziele zu gewinnen -, scheint Saddam jetzt zu gelingen. Der religiös verbrämte Nationalismus des irakischen Führers hat Zehntausende von Moslems zwischen Jemen und Jerusalem in Bewegung gesetzt. Nicht nur die arabischen Nationalisten oder Palästinenser feiern Saddam als einen neuen Führer, sondern auch fromme Moslems sehen in ihm einen neuen Mahdi, den erwarteten Erlöser. Saddam ist kein Schriftgelehrter, hat also keine Legitimation, einen Djahad auszurufen - doch das stört unkundige Volk nicht.
Daß Saddam auch als heiliger Krieger Gehör findet, verdankt er nicht zuletzt der gegenwärtigen Präsenz der Amerikaner auf dem Boden des saudischen Königreiches, wo sich die heiligen Stätten des Islam - Mekka und Medina - befinden. Daß die „Ungläubigen“ in unmittelbarer Nähe der islamischen Heiligtümer gegen die irakischen Brüder mit ihren Säbeln rasseln, bringt das muslimische Blut in Wallung. Der fromme Zorn über derartigen Frevel gilt nicht nur den US-Truppen, sondern auch den saudischen „Verrätern“, die diese ins Land gerufen haben. Beliebt war das saudische Herrscherhaus in der islamischen Welt noch nie. Unermeßlicher Reichtum und allzu weltlicher Lebenswandel stehen im Gegensatz zu seiner Funktion als Verwalter der heiligen Kultstätte. Das enge Bündnis mit dem Westen und seine religiöse Ausrichtung, der Wahhabismus - von den meisten Moslems als bigotte Sekte betrachtet, waren den arabischen Massen, namentlich den politischen Fundamentalisten, Dornen in den Augen. Dabei waren die saudischen Herrscher einst als Kämpfer des „wahren Islam“ an die Macht gekommen.
Um die Mitte des 18.Jahrhunderts trat auf der arabischen Halbinsel ein puristischer Theologe des sunnitischen Islam mit Namen Mohammad Ibn Abd al Wahhad mit dem Anspruch auf, den Islam von allen Innovationen zu reinigen und der reinen Lehre des Propheten Geltung verschaffen zu wollen. Dieser Ahnherr aller späteren islamischen Fundamentalisten gewann bald den Herrscher von Nadjd in Zentralarabien, Muhamad Ibn Saud, für seine puritanische Lehre. Die Verbindung von religiösem Eifer und weltlichem Machtstreben erwies sich als fruchtbar. Als der fromme Al Sahab 1792 starb, herrschte die saudische Dynastie über den größten Teil der arabischen Halbinsel. Und die Nachkommen Ibn Sauds bemächtigten sich nach dem Ersten Weltkrieg unter der Fahne des Wahhabismus des heutigen saudischen Territoriums mit Gewalt und wurden so zu Verwaltern der Haramein, der beiden islamischen Heiligtümer.
Die irakische Propaganda hat selbst die schiitischen Mullahs in Teheran in Zugzwang gebracht. Der iranische Revolutionsführer Chamenei hat am Mittwoch sein Schweigen über die Golfkrise gebrochen: „Wir verurteilen alle Aggressionen in der Region, namentlich die der Amerikaner. Die Moslems können die amerikanische Präsenz auf saudischem Boden nicht dulden. Daß die arabischen Golfstaaten sich nicht allein verteidigen können, liegt daran, daß wir stets einem amerikanischen Islam gefolgt sind.“ Vom Standpunkt des „amerikanischen Islam“ ist der eigentliche Frevler Saddam Hussein, denn US-Präsident Bush hat den irakischen Staatschef vor wenigen Tagen als „wahren Feind des Islam“ gebrandmarkt. Am Islam kommt anscheinend in unserer Zeit niemand vorbei.
Ahmad Taheri
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