Wie war das damals mit der RAF?

■ Muß ihre Geschichte neu geschrieben werden? / Nach und nach sickern Aussagen der RAF-Aussteiger aus der DDR an die Öffentlichkeit / 'Spiegel‘: Gefangene belasten sich und andere schwer

Berlin (taz) - Die bundesdeutschen Ermittlungsbehörden nutzen Aussagen der in der DDR festgenommenen RAF-Aussteiger weiter für eine gezielte Information der Öffentlichkeit. Nach 'Bild‘ und 'Stern‘ sind nun auch dem 'Spiegel‘ Geständnisse der aussagebereiten ehemaligen RAF-Aktivisten „auszugsweise bekanntgeworden“. Laut 'Spiegel‘ belasten sich vier der sechs inzwischen in die Bundesrepublik überstellten Gefangenen gegenseitig schwer.

Auch bereits rechtskräftig zu langjährigen oder lebenslangen Haftstrafen verurteilte RAF-Gefangene werden nach den Aussagen der Aussteiger Susanne Albrecht, Werner Lotze, Silke Maier-Witt und Henning Beer zum Teil mit zusätzlichen Straftaten in Verbindung gebracht. Eine Reihe von RAF-Anschlägen müssen, so das Hamburger Magazin, „neu zugeordnet werden“.

So soll der RAF-Aussteiger Peter-Jürgen Boock, der zur Zeit in Hamburg eine lebenslange Haftstrafe absitzt, angeblich nach dem als Entführung geplanten Mord an dem Dresdner-Bank -Chef Jürgen Ponto das Fluchtfahrzeug gesteuert haben. Boock, der seit längerem auf seine Begnadidung durch den Bundespräsidenten beziehungsweise auf die Verlegung in den offenen Stafvollzug hofft, hatte eine direkte Tatbeteiligung an dem Ponto-Anschlag stets bestritten. Dessen ungeachtet wurde er unter anderem wegen Ponto zu „lebenslang“ verurteilt.

Susanne Albrecht soll nach den Erkenntnissen der Ermittler nicht nur im Fall Ponto als „Türöffnerin“ fungiert haben, sondern auch noch an dem fehlgeschlagenen Anschlag auf den damaligen Nato-Oberbefehlshaber Alexander Haig beteiligt gewesen sein. Boock hatte zuletzt nach der Festnahme Albrechts in einem 'Spiegel'-Interview erklärt, die Hamburger Anwaltstochter sei nach dem Tod Pontos in tiefe Depressionen gefallen und nicht mehr in der Lage gewesen, an weiteren Aktionen teilzunehmen.

Die erwartete Freilassung von Sigrid Sternebeck scheint nach Aussagen von Werner Lotze erneut fraglich. Sternebeck, die lediglich der Mitgliedschaft in der RAF (inzwischen verjährt) und der Beteiligung an einem Anschlag auf die US -Airbase in Frankfurt im Jahr 1985 (damals lebte sie bereit fünf Jahre in der DDR) verdächtigt wurde, soll laut Lotze auch an der Vorbereitung zur Entführung und Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer beteiligt gewesen sein. Die Beweise scheinen jedoch dürftig: Im Verlauf einer „privaten Unterhaltung“, weiß der 'Spiegel‘, habe Sternebeck kurz vor ihrer Enttarnung in der DDR geäußert, wegen Schleyer könne ihre Inhaftierung möglicherweise „länger dauern“. Aufgrund dieser Lotze -Aussage hat Genaralbundesanwalt von Stahl inzwischen eine Erweiterung des Haftbefehls gegen die ehemalige RAF-Frau beantragt.

Negative Konsequenzen könnten die Aussagen der Festgenommenen auch für Sieglinde Hofmann haben. Hofmann, zitiert der 'Spiegel‘ einen „Sicherheitsexperten“, werde „immer wieder“ der Mittäterschaft bei verschiedenen RAF -Straftaten bezichtigt. Zur Zeit sitzt sie im Zusammenahng mit dem Ponto-Anschlag eine 15jährige Haftstrafe in Köln -Ossendorf ab. Außerdem soll nach den Aussagen Albrechts nicht, wie bisher angenommen, Brigitte Mohnhaupt, das Feuer auf Ponto eröffnet haben, sondern der wegen neunfachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilte Christian Klar.

Nach den Aussagen von Silke Maier-Witt war die RAF in den siebziger Jahren streng hierarchisch strukturiert. Die Führungskader - zu ihnen gehörten neben Klar und Mohnhaupt auch Willy Peter Stoll, Rolf Heißler und Knut Folkerts seien unter dem Ehrentitel „die mit den Hüten“ gelaufen. Allerdings habe die zweite Garnitur nicht alle Vorstellungen der Führungsebene widerspruchslos hingenommen. So sei Christian Klar gestoppt worden, als er nach dem Tod der Stammheimer Gefangenen den Überfall und die Ermordung mehrerer Offiziere und ihrer Familien in deren Wohnungen vorgeschlagen habe.

Offenbar war die Infrastruktur der RAF Ende der siebziger Jahre weiter ausgebaut als von den Behörden bisher angenommen. So habe es weit mehr geheime Depots und konspirative Wohnungen gegeben als bisher angenommen.

Gerd Rosenkranz