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Der Traum von der einzigen Linken

■ Zwischen PDS und neuen Bürgerbewegungen: Die „Vereinigte Linke“ wird vom Streit um die „Reichstagswahlen“ zerrissen

Aus Berlin Klaus Wolschner

Die Idee der „Vereinigten Linken“ ist einfach traumhaft: Sozialisten, linke Christen und Anarchisten sollen sich zusammentun, um die Linke zu einen. Was zustande gekommen ist, ist aber nicht die Vereinigte Linke, sondern nur eben eine „VL“, bekannte eine junge Genossin. Die „Berliner Vollversammlung“ dieser VL saß am Freitag abend um einen eckigen Tisch im früheren SED-Kreisbüro, das seit Herbst 1989 zum „Haus der Demokratie“ geworden ist: 30 Personen.

Das Selbstverständnis der Organisation stand zur Debatte. Eine verhandlungsdelegation der VL hatte eine „einseitige Abgrenzung“ von der PDS unterschrieben, damit ein Berliner Linker Huckepack mit den „Grünen/Bündnis 90“ ins Parlament kommt. Aber ein Flügel der VL ist grundsätzlich gegen die Beteiligung an den Reichtagswahlen, ein anderer will mit der „Linken Liste/PDS“ ins gesamtdeutsche Parlament kommen. Der Terminus „Reichstagswahlen“ signalisiert, daß das politische Denken der VL genau da anknüpfen will, wo in den zwanziger Jahren die strategischen Fehler gemacht wurden. Zerreißt der strategische Schachzug, bei den Reichstagswahlen einen Kandidaten bei der PDS und einen bei den Grünen zu plazieren, die Idee der VL?

Ein „unsäglicher Satz“ im Entwurf für die grüne Wahlplattform eint die Vollversammlung: „Jede Stimme für die PDS ist eine verlorene Stimme.“ Wie der Satz da reingekommen ist, weiß keiner. Diszipliniert nimmt die Runde die Berichte über die Verhandlungen mit den Grünen zur Kenntnis, setzt stundenlang Argument gegen Argument, ohne unsachliche Tonlagen zu dulden. Daß im Wahlprogramm der Grünen nichts über die 40jährige Geschichte des DDR-Sozialismus steht, moniert niemand. Intimfeind ist Konrad Weiß, der darauf bestand, daß das Wort „Kapitalismus“ nicht vorkommt. Einer Genossin ist bei der Lektüre der Plattform „immer schlechter“ geworden: Da werde „Wachstum, Wachstum über alles“ geschrieben, anstatt die Profitwirtschaft verantwortlich zu machen. Was kann die Parole „Kohl abwählen!“ anderes bedeuten, als Lafontaine zu wählen? Unter solchen Ungereimtheiten möchte sie die den Namen VL nicht sehen.

Ein Argument dagegen: „Wir können uns noch so was Schönes ausmalen, wir müssen mit den Realitäten leben.“ Für Bernd Gehrke, Verhandlungsführer mit den Grünen, muß die VL sich entscheiden, ob sie „als linker Flügel der Herbstbewegung“ die Linke einigen will oder „als historische Nachhut der zugrundegegangenen Linken“. Micha Mäde, der im Beirat der „Linken Liste/PDS“ sitzt, will die „Linke Liste“ nicht auf die alte SED-Linke reduzieren: Da säßen die westdeutsche Linken doch auch dabei! Und wer auf das Wählerpotential der PDS setzt, kann sich nicht so undifferenziert von ihr abgrenzen. Aus Berlin-Hellersdorf wird Erfolg vermeldet: Da hat die PDS der VL Platz zwei angeboten. In Brandenburg habe die PDS sichere Plätze nur für die FDJ freimachen wollen und der VL und der neuen KPD der DDR hintere Plätze angeboten.

Kurz nach Mitternacht beschließt die „Berliner Vollversammlung“ fast einvernehmlich - 26 Mitglieder sind noch da -, mit den Grünen/Bündnis 90 weiterzuverhandeln. Bedingung: Die Grünen sollen ihre Abgrenzung von der PDS und ihr Votum für Rot-Grün aufgeben. Daß Grüne und Neues Forum dies tun, glaubt eigentlich niemand. Die Einheit der VL, das war vorher mehrfach betont worden, sei das Allerwichtigste.

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