: Atomfracht für Bagdad gestoppt
■ Brisante Schweizer Lieferungen für den Irak wurden in Frankfurt beschlagnahmt / Fracht enthielt technisches Material für Urananreicherungsanlage / Zusammenhang zu illegalen BRD-Exporten?
Von Thomas Scheuer
Genf (taz) - Die beiden Lieferungen aus der Schweiz schienen aufmerksamen Zöllnern nicht ganz geheuer. Seit im Frühjahr im Frachtsektor des Frankfurter Flughafens Stahlteile für eine angebliche irakische „Superkanone“ beschlagnahmt wurden, drehen die Zollbeamten dort jede Kiste, die in den Irak fliegen soll, vorsorglich zweimal um.
Tatsächlich, so ergab die Überprüfung, hatten es die Kisten aus dem Alpenland in sich: Sensitive Komponenten für die Hochanreicherung von Uran. Bestimmungsort: Bagdad. Die heiße Fracht wurde vorsorglich beschlagnahmt und steht mittlerweile schon einige Wochen - in einer Frachthalle des Airports.
Obwohl der Irak den 1970 in Kraft getretenen Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet hat, gibt es seit Jahren immer wieder eindeutige Hinweise auf ein geheimes militärisches Atomprogramm, das nicht der Überwachung durch die Internationale Atomenergie-Agentur (IAEA) untersteht.
1981 bombardierten israelische Kampfjets den von Frankreich gelieferten Atomreaktor „Osirak“ bei Tuwaitha, kurz vor dessen Inbetriebnahme.
Der Irak verfügt seither über 13,2 Kilogramm hochangereichertes Uran, das damals bereits von Frankreich geliefert worden war. Offiziell untersteht dieses Material dem IAEA-Kontrollsystem. Konkret fliegt lediglich alle sechs Monate ein IAEA-Inspektor aus Wien ein und zählt nach, ob noch alles da ist.
Daneben soll der Irak inzwischen aber auch über hochangereichertes Uran aus der Sowjetunion verfügen, das nicht im IAEA-Inventar auftaucht.
Beunruhigt sind die Safeguards im Wiener IAEA-Hauptquartier aber vor allem über Geheimdienstberichte, wonach irakische Atomingenieure neuerdings mit chinesischer Unterstützung an einer eigenen Anreicherungsanlage werkeln. Vermutetes Ziel der Generäle um Saddam Hussein: waffenfähiges Spaltmaterial aus eigener Produktion.
Die technischen Herzstücke einer Anreicherungsanlage sind Tausende von Gaszentrifugen, meterlange Röhren aus Spezialstahl, in denen das im Natururan nur zu 0,7 Prozent enthaltene Uran 235 auf über 90 Prozent angereichert wird. Hochangereichertes Uran 235 ist - neben metallischem Plutonium - der Stoff, aus dem die Bombe ist.
Um die Deckel und Böden, die sogenannten „endcaps“, für die röhrenförmigen Uranschleudern könnte es sich nach Auskunft eines Anreicherungsexperten bei jenen Metallteilen handeln, die nach taz-Informationen die Tessiner Firma Schmiedemeccanica SA in Biasca in Richtung Irak auf den Weg gebracht haben soll.
Die zweite in Frankfurt gestoppte Sendung besteht aus einer Werkzeugmaschine, die zur Bearbeitung von „endcaps“ geeignet ist. Herstellerin ist die Firma Schaublin in der französischen Schweiz. Der Export solcher Komponenten ist sowohl nach schweizerischem als auch deutschem Recht genehmigungspflichtig.
Seit Montag tagt in Genf die vierte Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages, wobei angesichts der zahlreichen Exportskandale der letzten Jahre wohl auch die Effektivität der Kontrollsysteme kritisch angesprochen werden wird.
Um sich negative Schlagzeilen über illegale schweizerische Atomexporte ausgerechnet in den Irak während des hochkarätigen UNO-Meetings zu ersparen, mögen die Berner Behörden bislang keine Details der schmutzigen Geschäfte mit Iraks Kriegstreibern preisgeben und vertrösten Journalisten auf den Abschluß des Ermittlungsverfahrens.
Offenbar besteht jedoch ein Zusammenhang zwischen den in Frankfurt beschlagnahmten Lieferungen aus der Schweiz und mehreren deutschen Firmen, gegen die hierzulande nach Enthüllungen des 'Spiegel‘ mittlerweile ebenfalls wegen illegaler Exporte in den Irak ermittelt wird, darunter die Firmen H+H Metallform in Dreisteinfurt bei Münster und die Export-Union GmbH in Düsseldorf. Auch sie sollen - das paßt fugengenau zusammen - Metalle und Technologie für die Urananreicherung in den Irak verschoben haben. Bei den Teilen aus der Schweiz könnte es sich also um weitergerreichte Unteraufträge handeln.
Äußerst beunruhigt sind IAEA-Experten und Nachrichtendienstler aber noch durch einen weiteren Umstand: Das Metall für die „endcaps“, die in der Schweiz bearbeitet wurden, war vom irakischen Besteller selbst geliefert worden.
Dabei handelt es sich um sogenannten Mergin-Steel, einen hochwertigen Spezialstahl, dessen Ausfuhr die wenigen Herstellerländer wegen seiner strategischen Bedeutung streng überwachen. Woher hat der Irak seinen Mergin-Steel? Diese spannende Frage gilt auch für die Auslegungspläne und Blaupausen, nach denen die Irakis die „endcaps“ fertigen ließen. Es gibt noch viel zu tun für Fahnder und Staatsanwälte.
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