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Wir sind einfach geil

■ „Rex Dildo“ in der Galerie Loulou Lazard

Zunächst hängen da an den Wänden, in den Räumen der Galerie Loulou Lazard in der Crellestraße, im schönsten Winkel Schönebergs, großformatige Fotos in Serien. Eine Serie heißt L'education sentimentale und hat nichts mit Flaubert zu tun, denn es genügt, Titel zu zitieren, um irgend etwas zu assoziieren bei Leuten, die die Titel kennen. Wenn sie gut sind, die Titel, so reicht das, so meint man, und ist auch bequemer. Die drei- bis sechsteiligen Serien heißen Il santo Male und sind von Domenico Zindato, der später noch eine Performance machen möchte.

Ins Auge springt das Geschlecht; das wirkliche der Frau, die robustere Kunst- oder Symbolform des Mannes. Der junge Künstler (Jahrgang 66) ist auch als Rex Dildo angekündigt. Das steht für schräg, für schrill, für camp eventuell. Für jung, für schrill, für lustig wollen auch die vielen jungen Menschen stehen, die sich um- und aneinander drängeln, die vom albern kostümierten Zeremonienmeister mit Stock-auf-den- Boden-Schlag angekündigt werden (wie weiland bei Proust): „Wir begrüßen ganz besonders herzlich „Käthe B.“ oder „Marianne Enzensberger“ oder Theodor di Rico oder Frau Sowieso „von Prinz“ oder Frau Sowieso „von 'Zitty'“ oder „Qpferdach vom 'Tip'“.

Publikum und Künstler wollen für schrill und lustig und kreativ stehen; es geht ihnen nicht darum, es zu sein, es geht um die Darstellung; für Philipp Morris, den Sponsor, der dezent nur ein paar Aschenbecher hingestellt hat (wobei man sich vielleicht überlegen sollte, ob es nun schlimmer ist, für den fördernden Staat oder für den sponsernden Konzern Propaganda zu machen), und fürs Fernsehen, den RIAS, der viele lustig-schrille Interviews in den Kasten gebracht hat. Da können Mama, Papa, Onkel, Tante zu Haus auch sehen, wie schrill und lustig ihre Kids sind.

Diese Interviews beginnen immer gleich: Ein kleiner Reporter windet sich vor Menschen, die er für geeignet hält, dem Fernschauer ein Bild des lustigjungkünstlichen Lebens zu vermitteln. Er entschuldigt sich: „Tut mir leid, das ist eben mein Job“, und fragt so lustige Fragen wie: „Was ist Kunst für Sie?“ und bekommt schräge Antworten. Danke. Oder da kommt eine schlanke Künstlerin im Nonnenkostüm und trägt eine Schale mit irgendwelchen Eßbarkeiten vor sich her und erzählt was von „Jungfernhäutchen und Unschuldsengeln, vom Essen, um die Schuld zu tilgen“. Wirklich schräg.

Doch vor allem sind da die Bilder; Rokokostilisierungen in Sfumato (bei Fotos sollte man vielleicht eher smooth sagen). Weich dominieren Grün, Orange. Auf den Bildern sind zwei Frauen und ein Mann oder eine Frau allein zwischen Plüsch, Samt, verfallenen Stühlen. Seile dienen als Rahmen oder zur Fesselung. Während einer begleitenden Modenschau erzählt eine Frau, daß es doch darum ginge - das hätte sie später erst gemerkt, denn zunächst sei sie ein bißchen geschockt gewesen -, eigene Phantasien darzustellen; Verborgenes, Verhülltes, Verdrängtes offenzulegen. Vielleicht, vielleicht auch nicht. Die mit flauschigen Federn gerahmten Fotos sind eher schon Zitate des Offenlegens etc., die die Geste der Befreiung mit katholischen Rokokoplüscharrangements ironisieren.

Alte Gardinen liefern den weichen Hintergrund. Zwischen schweren Stoffen schaut eine Möse hervor. Weich und weiß ist der Busen. Über der einen Frau reichen sich eine andere Frau und schwarzumschattet der Mann die Hände. Einen Dildo hat sie sich umgeschnallt, der deutet in den Schatten des Geschlechts. Oder ein Dildo ragt aus seinem Knie, und davor präsentiert kniend eine Frau ihren nackten Hintern. Müll, Dreck, verfallen-bedeutende Dinge liegen irgendwo im Hintergrund. Es gehe um Geschlechtertausch, steht in der Ankündigung.

Auf dem nächsten Bild der Serie (Il santo male) hängt im Hintergrund, an der Wand, eine abgehackte Hand. Die zwei Frauen haben den Mann ausgezogen und gefesselt. Da liegt er nun, so ganz verschnürt in Klarsichtfolie. Später steht er an einen Pfahl gefesselt, und komisch-ironisch blutrünstig blickt eine Frau aus dem Bild. Lustig verschmiert ist ihr Mund.

Das sind Inszenierungen a la Bataille, die Spaß machen, vielleicht gerade, weil die depressive Hysterie des erotomanischen Schriftstellers durch aufgeplüscht zitierte Lebenslust ersetzt ist. Dieser Spaß wird nur getrübt durch die Penetranz des Fernsehteams, des versammelten Kunstaffentums und durch eine Performance, die der junge Künstler zusammen mit seinen zwei Freundinnen veranstaltet. Ihre grün angemalten Hintern tauchen sie zwischen Fisch und Sahne auf einen Teller und strecken sie ins Publikum. Applaus.

Der Zeremonienmeister hält es dann nicht für nötig, genervt Entschwindende und solche, die sich vor der anschließenden „Party“ drücken wollen, zu verabschieden. Das wäre doch nett gewesen: „Wir verabschieden: Qpferdach“, „es geht: Sowieso usw.“

Detlef Kuhlbrodt

Die Vernissage liegt ja nun schon einige Tage zurück; aber die Hardware ist noch zu begutachten: Rex Dildo (Domenico Zindato) . Fotografische Inszenierungen. Noch bis zum 1. September, Crellestraße 42a, Berlin 62. Jeweils Di. bis Fr. von 15 bis 19, Sa. von 12 bis 15 Uhr.

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