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Sonderwunsch bei Wehrdienst und §175

■ Der Magistrat und der Senat fordern eine Übergangsregelung für die Einführung der Wehrpflicht / Für eine Übergangszeit soll der Paragraph 175 in Gesamt-Berlin außer Kraft bleiben

Berlin. Alle Berliner, die am Tag der Vereinigung (also voraussichtlich am 14. Oktober) 16 Jahre und älter sind, sollen von der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht verschont bleiben - zumindest, wenn es nach dem Willen von Senat und Magistrat geht. Erwartungsgemäß hat der „Magi -Senat“ in seiner gestrigen Sitzung eine Vorlage von Bundessenatorin Heide Pfarr beschlossen, die vorsieht, der Bundesregierung eine Übergangsregelung vorzuschlagen. Die Senatsvorlage, in der taz bereits ausführlich zitiert, wurde in einem Punkt noch konkretisiert. Stichtag für den Vertrauensschutz soll nach Vorstellung des Senats das gestrige Datum sein: alle Männer, die am 21. August 1990 ihren ersten Wohnsitz in Berlin haben und am Tag des Inkrafttretens des Überleitungsgesetzes nicht älter als 16 sind, dürfen aufatmen. Betroffen sind davon in der entsprechenden Altersklasse zwischen 18 und 32 in West -Berlin rund 200.000, in Ost-Berlin etwa 170.000 Männer. Für ganz Berlin soll auch, wie berichtet, die liberalere Praxis der Kriegsdienstverweigerung in der DDR gelten. In der DDR können Männer frei wählen zwischen Kriegs- und Zivildienst, beide dauern derzeit ein Jahr.

In der Sitzung war es nach Auskunft von Heide Pfarr unstrittig, daß die Wehrpflicht für Berlin unvermeidbar sei. Auch die AL-Senatorinnen erkannten dies an, regten jedoch eine breite Diskussion über den Sinn der Wehrpflicht in Berlin an, die zwischen den Parteien geführt werden soll. Verbindliche Stellungnahmen der Hardthöhe lägen bisher nicht vor, so die Bundessenatorin, sie sei aber „sehr hoffnungsfroh“, was die weißen Jahrgänge angehe. Eher ablehnend sollen sich die Verteidigungsstrategen in Bonn bei der Ausdehnung des DDR-KDV-Rechts gezeigt haben möglicherweise wird diese Wahlmöglichkeit völlig gestrichen und für die gesamte Republik die Gewissensprüfung verbindlich.

In der Sitzung beschlossen Senat und Magistrat einen weiteren Vorstoß, um liberaleres DDR-Recht für ganz Berlin anzuwenden: Im Einigungsvertrag soll das Sexualstrafrecht der DDR erhalten bleiben und die Artikel 175 und 182 des Strafgesetzbuches nicht auf das Gebiet der DDR ausgedehnt werden. In der BRD wird homosexueller Verkehr mit Minderjährigen unter 18 mit Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren geahndet, in der DDR dagegen liegt die Altersgrenze bei 16 und die Höchststrafe bei zwei Jahren. Für eine Übergangszeit von etwa zwei Jahren, so Justizsenatorin Jutta Limbach, soll in ganz Berlin das liberalere DDR-Recht gelten. Das Strafprinzip des Lebensmittelpunktes, so die Justizsenatorin, sei in einem künftigen Land Berlin nicht akzeptabel, hier solle das Prinzip des Tatortes gelten; in einem Land könne nicht zweierlei Strafrecht gelten. Einen ähnlichen Vorstoß hatte der Senat vor zwei Wochen beim Paragraphen 218 gestartet.

kd

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