: Sexualberatung via Bildschirm
■ Minitel, das französische btx-System, setzt sich durch Von der Partnervermittlung bis zum Studienplatz alles zu haben
Sie suchen einen billigen Urlaubsort, Ihr Horoskop für die nächste Woche oder einen neuen Lebenspartner? Oder soll es eher ein intimer Plausch oder die Einschreibung an der Universität sein? Wählen sie 36 15 auf Ihrem Minitel, und Ihre Wünsche werden erfüllt.
Minitel bietet fast alles, was die Franzosen begehren. Das Computer-System, das ans Telefon gekoppelt ist, hat mehr als 12.000 Dienste in seinem Sortiment. Mehr als fünf Millionen Minitel-Bildschirme sind mittlerweile in Frankreich installiert. Jeder vierte französische Haushalt verfügt damit über das Bildschirmtexst-System (btx) der France Telecom.
Minitel wurde vor zehn Jahren in Frankreich eingeführt und ist dort fast so etabliert wie das Telefon. Über Minitel wählen die Franzosen den besten Fußballer des WM-Finales oder den sympathischsten Tennisspieler von Wimbledon. Sie reservieren ihre Eisenbahn- und Kinokarten, bestellen sich ihre Möbel ins Haus und lassen ihre Rechnungen überweisen. Wer ein Telefon hat, bekommt die einfache Ausführung des Minitel-Geräts auf Anfrage kostenlos ins Haus geliefert.
Das aufwendigere Modell kostet 20 Francs (sechs Mark) monatlich. Bezahlt wird für die Nutzung eines der Dienste, die teils von France Telecom, teils von privaten Unternehmen angeboten werden. Der Tarif liegt bei durchschnittlich 1,25 Francs (40 Pfennig) pro Minute. Im vergangenen Jahr wurden die Minitel-Dienste 1,2 Milliarden Mal genutzt - pro Monat kam jedes Minitel-Gerät also durchschnittlich 20 Mal zum Einsatz.
15 Prozent der Nutzungsdauer geht an die Dienste der „messageries roses“, wie der Minitel-Kontakt-Service in Frankreich heißt. Hier reicht die Palette von intimen Sex -Gesprächen via Bildschirm - „Wie tun sie's am liebsten?“ über Sexualberatung bis zu seriöser Partnerschaftsvermittlung. Auch das Nachrichtenmagazin 'Le nouvel Observateur‘ oder die Tageszeitung 'Liberation‘ betreiben eigene Kontaktbörsen. Aufwendige Werbekampagnen zeugen von der Konkurenz unter den zahlreichen Minitel-Sex -Agenturen. „Ruf‘ mich an“ fordert eine leicht bekleidete Blondine namens Erika auf großen Werbeplakaten in der Pariser Metro. „Über Minitel“. Jane oder Alina bieten ihre Dienste in farbigen Zeitungsanzeigen an - Kontakt natürlich via Minitel.
In diesem Sommer hat Minitel auch an den Pariser Universitäten seinen Einstand gegeben. Da es in Frankreich offiziell keinen Numerus Clausus gibt, wurden bisher die Studienplätze an den französischen Universitäten an diejenigen Studienanfänger vergeben, die sich zuerst einschrieben. Lange Schlangen vor den begehrten Universitäten waren die Folge. Die Proteste über dieses Verfahren gingen so weit, daß selbst Staatspräsident Fran?ois Mitterrand sich öffentlich beschwerte. Dieses Jahr dagegen große Leere am Einschreibetag - die StudienanfängerInnen hatten sich über das Minitel-Programm Ravel einen Studienplatz reserviert.
Ganz vorbei ist die Zeit des Schlangestehens allerdings nicht, denn etwa 18 Prozent der Jung-StudentInnen in Paris haben sich nicht über Minitel eingeschrieben und müssen so auf traditionelle Weise um die verbleibenden Studienplätze kämpfen. Vom nächsten Jahr an werden sich voraussichtlich die Studienanfänger in ganz Frankeich über Minitel einschreiben.
Frankreich ist das einzige Land der Welt, in dem sich das Bildschirmtext-System voll durchgesetzt hat. In der Bundesrepublik liegt die Zahl der btx-NutzerInnen bei etwa 230.000 - weniger als ein Zwanzigstel der französischen Minitel-Nutzer. Die Bundesbürger müssen das btx-Gerät bezahlen oder mieten. Der Preis für das aktuelle Modell liegt bei etwa 800 Mark, die monatliche Mietgebühr bei etwa 26 Mark. Wer so viel ausgibt, hat auch Zugriff auf das Minitel-Paradies, denn deutsche btx-Nutzer sind an das französische Netz angeschlossen. Die Vorlieben von Deutschen und Franzosen gleichen sich allerdings: Auch in der Bundesrepublik stehen die Kontaktdienste zum Kennenlernen ganz oben auf der btx-Hitliste.
afp
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