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In 80 Sekunden fast genial

■ 'Der Jochen‘ zeigt Filme

Während bei Low- und High-budget-Festivals nicht viel mehr als die eingeflogenen Gäste und JournalistInnen grüßend umeinander herumscharwenzeln, erfreuen sich und mich die No -budget-Festivals, quasi als Horte nichtsubventionierter Kultur (von der man fälschlicherweise im Osten meint, daß sie im Westen herrsche etc. pp.), mit regem Zuschauerzuspruch. Dies meint zumindest der kleine 'Jochen‘, der heute abend seine Lieblingsfilme vom Hamburger No-budget -Filmfest im Freiluftkino Hasenheide einer interessierten Berliner Öffentlichkeit präsentieren wird.

Wer ist 'Der Jochen‘? - Ist es der Torsten (Alisch), oder ist es die Dagie (Brundert), oder ist es der Manfred (Jelinski), oder ist es die Khani (Kahnert)? Sind es alle vier oder ganz jemand anderes - egal. Der Manfred, ein Freund vom Jörg (Buttgereit), war jedenfalls glücklich, am 2. Juni (Symbolik?) in Hamburg seinen Super-8-Streifen Ich hasse den 9. November vorstellen zu dürfen, und für 25 DM kann man das auch noch als T-Shirt bestellen.

Im Film werden die üblichen Westressentiments a la „Ich will meine Mauer wiederhaben“ nuschelnd aufbereitet; es sei ja so, wie H.C. Buch im Frühjahr am Wannsee so treffsicher feststellte, daß nicht der Westen den Osten aufkaufen würde, sondern umgekehrt - man schaue nur in die Regale und bedenke nur die Schlangen an den Supermärkten. - Das gefällt uns nicht, das gefällt uns nicht! - so meckert man vermeintlich linksironisch, und das schlägt jedenfalls um in das debile Ressentiment des Kreuzbergbewohners, der zu faul ist, sich einen anderen Supermarkt zu suchen.

Nicht alles ist so, und ein wesentlicher Vorteil von 'Jochens‘ spielfilmlanger Kurzfilmkompilation besteht darin, daß der einzelne Film kurz und schnell vergessen ist und ein anderer, wie der von Dagie Brundert, in 80 Sekunden fast genial daherkommt. Im Einarmigen Banditen sind es zwei bunte Spielzeugmännchen, die - umbrandet vom Applaus der Zuguckenden - am Spielzeugautomaten ihr Glück versuchen; einer gewinnt, einer verliert, „winners and loosers“. Der einarmige Verlierer reißt seinem zweiarmigen Kontrahenten den Arm ab und tut ihn sich ran. So soll es sein!

Am schönsten und aufschlußreichsten sind jedenfalls die kleinen Dinge des Alltags, vergessene Geschichten, die doch prägend wirkten. Im Kleinfamiliendrama (2 Min. 50) von Reinhard Westendorf, betitelt mit einem launig-verlorenen Mutter schafft mich, steht die beschürzte Mutter da, bodenständig im bodenständigen Familienwohnzimmer, begabt mit einem bäuerlich norddeutschen Dialekt. Sie mahnt ihren ungefähr 38jährigen Sohnemann, doch endlich mit seinem Studium zu Ende zu kommen. Der will aber immer nur Kino gehen und eigentlich auch machen und damit viel Geld verdienen (das sei ihm gewünscht), und Mutter ist traurig. Sehr traurig. Die Wellen der Emotionen in diesem zeitlosen Drama, in dem beileibe Vater nicht ausgeschlossen ist, erzeugt eben dieser (Heinrich Westendorf), blickend beteiligt, als Herrscher außen vor, durch das sanfte Auf und Ab seiner Kameraführung. Wie die entsteht und was für eine Rolle eine Quasimaschine im ödipalen Dreieck spielt, erfährt man in einer letzten Sequenz (die nicht verraten wird).

Um ein anderes Dreieck (das sich entwicklungsgeschichtlich als das gleiche enthüllt) geht es in einem ambitionierten 14 -Minuten-Streifen von Werner Senft: Frag nicht nach Harry ist nur vordergründig die Italienurlaubsgeschichte eines jungen Pärchens, das sich - wie es so üblich ist bei Ferienreisen - streitet, zusammenfindet, wieder streitet, wieder zusammenfindet, zwischen Zelt und endloser Straße am Berg entlang ins Glück. Hinter allem steht jedoch der Vater, der, clownesk und grausam maskiert, als Harry im Hintergrund droht und tanzt und als Rivale eben übermächtig ist, weil er wie jeder glücklichere Rivale den übermächtigen Vater verkörpert, der den legitimen Liebhaber zum ohnmächtigen Sohne degradiert. „Ich glaube nicht, daß du mich liebst, denn ich habe Harry gesehen.“

In den zwischen Kunst und künstlich anzusiedelnden Filmen von Tony Hill ist dagegen die Familienwelt noch in Ordnung. Mama, Papa und die Kinder machen mit. Im heimischen Swimmingpool verwirren sie sich und spielen sie miteinander: Wasser oben und Wasser unten (Water Work). Im Kreislauf, mit Hilfe einer äußerst komplizierten Kameraführungsmaschine („rätselhaft“, so 'Der Jochen‘), verwandeln sich Himmel in Erde, oben in unten; doch die Familie bleibt, auch kopfüber, noch bestehen.

Und der Film endet als Film über den Film. Auf dem Flohmarkt hat Torsten Alisch die nicht zu enträtselnden Fetzen eines Sechziger-Jahre-Krimis gefunden, hat sie neu abgefilmt und kombiniert, läßt sie in ihrem materiellen oder narrativen Verfall flackern und leuchten; die Bilder und Worte noch einmal, vielleicht ein letztes Mal (niemand wird es für nötig gefunden haben, einen solchen Film zu archivieren); man hört absurd komische, grandios typische Sätze: Sie, die schicke Sechziger-Jahre-Frau - jeder ihrer Gesten sieht man an, daß sie die Mörderin ist -, fragt ihn, den Mann im Trenchcoat: „Sie sind Rechtsanwalt?“ - Er antwortet: „Nein, Polizeibeamter!“

In entsprechend größerer Größe, im Freien (das hat den Vorteil, daß man dabei kiffen kann), in der Hasenheide also (einmal im Sommer muß man doch dahin), sind die besprochenen und noch ein paar andere Filme heute zu bewundern.

Detlef Kuhlbrodt

Heute um 20 Uhr 30 im Freiluftkino Hasenheide.

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