„Wir sind nicht umgefallen, wir haben es hinnehmen müssen“ (Schmalz-Jacobsen)

■ Die Bonner Koalition hat in der Frage der Abtreibung ein geteiltes Strafrecht beschlossen: Frauen aus der Bundesrepublik machen sich strafbar, wenn sie in der DDR abtreiben. Bei der FDP hat das Umfallen der Parteispitze einen Riesenkrach ausgelöst. Die SPD kündigte bereits an, sie werde ihre Zustimmung verweigern. Berlins sozialdemokratische Justizsenatorin Jutta Limbach kündigte eine Bundesratsinitiative der Berliner Regierung an

Paragraph zweihundertachtzehn

Das Umfallen der FDP-PolitikerInnen bei den Verhandlungen um das Abtreibungsrecht hat parteiintern einen Riesenstreit ausgelöst. „Ich bin entsetzt und wütend, aber wir werden in die nächste Runde gehen“, kommentierte die Vorsitzende der FDP-Gleichstellungskommission Barbara Bludau-Krebs die Entscheidung. Der FDP-Parteivorsitzende Otto Graf Lambsdorff, Generalsekretärin Cornelia Schmalz-Jakobsen, Staatsministerin Irmgard Adam-Schwaetzer und Justizminister Hans Engelhard hatten einer Regelung zugestimmt, nach der bei Abtreibungen das Wohnortprinzip gelten soll. Frauen mit Wohnort in einem westlichen Bundesland sollen nach dem Beitritt der DDR strafrechtlich belangt werden können, wenn sie eine Abtreibung im Osten machen lassen. Sowohl der Parteitag der FDP als auch das Präsidium hatten entschieden, die Partei werde auf keinen Fall einer solchen Regelung zustimmen. „Einen Beschluß kann man formal gar nicht besser absichern“, so Barbara Bludau-Krebs. Umso unverständlicher ist den FDP-Frauen, daß ihre beiden Vorzeige-Politikerinnen Adam-Schwaetzer und Schmalz-Jakobsen nachgegeben haben. Bludau-Krebs: „Die CDU-hätte an dieser Frage doch niemals den Einigungsvertrag scheitern lassen“.

Als sich vorgestern Nachmittag abzeichnete, daß Bundeskanzler Kohl in der Abtreibungsfrage nicht nachgeben würde, hatten die FDP-PolitikerInnen um eine Verhandlungspause gebeten. Graf Lambsdorff machte den Frauen klar, er werde zustimmen. Basta. Sein Argument: Wenn der Einigungsvertrag scheitere, gelte §218 im gesamten Deutschland. Die beiden Frauen gaben klein bei. „Das Zähneknirschen ist allerdings sehr laut und die Enttäuschung auch“ versuchte sich Cornelia Schmalz-Jakobsen im Saarländischen Rundfunk zu verteidigen. Die Berliner FDP -Landesvorsitzende Carola von Braun hält dagen nichts von der Methode „Zähneknirschen statt Kämpfen“. Das Nachgeben der Bonner FDP-Führung werde noch zu „heftigen Debatten in der Partei“ führen. Auf dem Frauenkongresse der Liberalen kommende Woche in Hamburg wird sich nicht nur Graf Lambsdorff rechtfertigen müssen, auch Schmalz-Jakobsen und Adam-Schwaetzer sollen in die Mangel genommen werden. Die FDP-Frauen setzen nun auf ihre Parteifreunde in der Volkskammer. Denn die kämpfen für eine Übergangsregelung, in der das Tatortprinzip festgeschrieben ist.

Darauf setzt nun auch Parteivorsitzender Lambsdorff. Die FDP-Fraktion in der Volkskammer soll einen Antrag gegen das Wohnortprinzip einbringen. Damit wollen die Liberalen die Ostberliner Regierung verpflichten, im Einigungsvertrag kein geteiltes Strafrecht zuzulassen. Lambsdorff ließ aber schon bei Verkündung seines Vorschlags durchblicken, daß er keine großen Chancen sieht, die FDP-Position auf dem Weg über die Volkskammer doch noch durchzusetzen. In die Bresche wirft sich nun die SPD. Starke Worte fanden gestern Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine und die stellvertretende Parteivorsitzende Herta Däubler-Gmelin: „Wir verbürgen uns dafür: Die Absicht des Bundeskanzlers wird nicht realisiert“. Einer Verankerung des Wohnortprinzips im Einigungsvertrag werde die SPD nicht zustimmen: „Wir bleiben dabei, daß Frauen aus der Bundesrepublik nicht bestraft werden, wenn sie sich im Gebiet der DDR einem Schwangerschaftsabbruch unterziehen“.

Berlins Justizsenatorin Jutta Limbach erklärte, das „Wohnortprinzip“ führe zu absurden Situationen. Das zweigeteilte Strafrecht bedeute, daß „die Mauer nach wie vor existiert“. Während sich eine Westberlinerin bei einem Schwangerschaftsabbruch in der Ostberliner Charite strafbar mache, handele der Arzt, sofern er in der DDR lebt, völlig legal. Sein Westberliner Kollege dagegen, der im Ostteil der Stadt eine Abtreibung vornehme, müsse mit Strafverfolgung rechnen. Limbach bekräftigte noch einmal die Absicht des Berliner Senats, per Bundesratsinitiative ein neues Schwangerschaftsgesetz mit einer Fristenregelung anzuregen. Dies werde zur Zeit vorbereitet. Tina Stadlmeyer

Helga Lukoscha