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Moskau verhandelt, Washington mauert

■ Rund 35.000 US-Soldaten in Saudi-Arabien / „Notfalls“ will das Pentagon bis zu 250.000 Mann schicken / Irakische Ausreiseangebote zurückgenommen

Moskau/Washington (adn/ap/afp) Während die US-Regierung es am Dienstag kategorisch abgelehnt hat, mit Iraks Präsident Saddam Hussein zu verhandeln, setzte das Moskauer Außenministerium gestern seine Gespräche mit einem Unterhändler aus Bagdad fort. Washington verlangt, daß Hussein seine Truppen „vollends und bedingungslos“ aus Kuwait abzieht, bevor über die Golfkrise verhandelt wird. Verhandlungen waren vom irakischen Außenminister Tarik Asis bei einem Besuch in Amman angeboten worden, allerdings ohne ein Kompromißangebot anzudeuten. Der Sprecher des Weißen Hauses, Marlin Fitzwater, hatte die Botschaft als „tägliche Litanei aus Irak“ abgetan.

In Moskau traf gestern überraschend der saudi-arabische Botschafter in Washington, Prinz Bandar Bin Sultan zum ersten Besuch eines Mitglieds des saudischen Königshauses in der UdSSR ein. Am Vortag hatte der irakische Vizepremier Saddoun Hammadi mit Regierungschef Nikolai Ryshkow und Außenminister Eduard Schewardnadse konferiert. Dabei signalisierte Schewardnadse dem Iraker, daß Saddams Vorschläge für eine umfassende Lösung des Nahostkonfliktes „bemerkenswerte Elemente“ enthalte. Zugleich wiederholte Schewardnadse die sowjetische Verurteilung des irakischen Einmarsches in Kuwait und forderte die Erfüllung der UN -Resolutionen nach einem vollständigem Rückzug. Gestern begann Moskaus Vizeaußenminister Alexander Belonogow Konsultationen mit den Botschaftern der USA und Ägyptens. Im Eiltempo sucht die Sowjetunion nach einer politischen Lösung. Darüber hinaus machte sie deutlich, daß jedes militärische Vorgehen gegen Irak unter der Schirmherrschaft der UNO und nicht der USA stehen müsse.

Gegen eine militärische Verwicklung der Großmächte in den Konflikt sprach sich gestern der chinesische Ministerpräsident Li Peng aus. Die Arabische Liga und der Golfkooperatiosrat sollten nach regionalen Lösungen suchen. Eine Internationalisierung würde nur zur Verschärfung des Konfliktes beitragen, hatte die Nachrichtenagentur Hsinhua bereits am Vortag verbreitet.

Der französische Präsident Francois Mitterrand hingegen schlug am am Dienstag abend eine härtere Tonart in der Golfkrise an. „Ein Embargo ohne Sanktionen wäre nur Schein“ sagte er auf einer Pressekonferenz. Mitterrand schloß nicht aus, daß den im Golf operierenden Kriegsschiffen seines Landes der Feuerbefehl gegeben werden könnte. Rund 180 Mann einer französischen Aufklärungseinheit sollen binnen 48 Stunden Richtung Arabische Emirate verlegt werden. Sie sind mit Panzerfahrzeugen ausgestattet. Der von Irak eingeschlagene Weg führe zum Krieg, sagte Mitterrand. „Das Problem besteht jetzt darin, ohne Preisgabe der rechtlichen Ziele da wieder herauszukommen“.

Das Schicksal der in Irak und Kuwait festgehaltenen westlichen Ausländer ist weiterhin ungewiß. Bagdad hatte zwar am Dienstag angekündigt, daß in Kuwait lebende Bürger von sieben EG-Staaten das Land verlassen dürften, doch zugleich hatte Staatschef Saddam Hussein die De-facto -Geiselnahme erneut verteidigt und eine „größere Katastrophe“ angekündigt, daß es zu einer bewaffneten Auseinandersetzung komme. Inzwischen sollen jedoch irakische Regierungsstellen dementiert haben, daß Bürgern einiger EG -Staaten - Italien, Belgien, Niederlande, Spanien, Griechenland, Irland und Dänemark - die Erlaubnis zur Ausreise gewährt werde. Hingegen sollten gestern vier Großraumflugzeuge Chinesen aus dem Irak evakuieren.

Zugleich geht der Militäraufmarsch in der Golfregion weiter, wo es bereits zum größten internationalen Truppenaufmarsch seit dem Zweiten Weltkrieg gekommen ist. Mindestens 35.000 amerikanische Soldaten befanden sich am Dienstag in Saudi-Arabien oder waren dorthin in Marsch gesetzt, sagte der Luftwaffengeneral Hansford Johnson. Informierte Kreise im Pentagon sprachen von einem Ausbau der Truppenkontigente auf „notfalls“ bis zu 250.000 Mann. Gestern wollte Bush auch die Einberufung von rund 40.000 Reservisten bekanntgeben.

Parallel dazu setzen die arabischen Staaten die Verstärkung ihrer Armeen fort, wie in den Vereinigten Arabischen Emiraten, wo am Mittwoch zwei neue Rekrutierungszentren eröffnet wurden. Ägypten soll inzwischen Giftgas-Experten nach Saudi-Arabien geschickt und seine dort stationierten Soldaten mit Gasmasken ausgerüstet haben, meldete eine Zeitung in Dubai. Auch Syrien kündigte inzwischen die Entsendung von Truppen nach Saudi-Arabien an. Im Golfkooperationsrat nahmen am Mittwoch in Dschidda die Verteidigungsminister Beratungen über gemeinsame Maßnahmen gegen der arabischen Länder auf.

Der Irak hat nach Auskunft eines saudi-arabischen Offiziers inzwischen Boden-Boden Raketen in Kuwait in Stellung gebracht. Unter Berufung auf aus Kuwait zurückkehrende Iraner schreibt die Teheraner Nachrichtenagentur 'IRNA‘, daß irakische Soldaten in ganz Kuwait Stellung bezogen hätten, besonders im Hafen Al Achmadi: „Panzer und Panzerwagen fahren durch die Straßen und nachts peitschten Schüsse durch die Stadt.“

Für die inzwischen mehreren Zehntausend ägyptischen Flüchtlinge aus dem Irak ist im jordanischen Akaba eine Luftbrücke nach Kairo eingerichtet worden. Die Flüchtlinge, die sich in der Hafenstadt drängen, sollen Berichten zufolge von Seuchen bedroht sein.

In Ägypten haben unterdessen führende islamische Geistliche zum Kampf gegen Saddam Hussein aufgerufen. Unter Berufung auf den Koran erachten sie Widerstand gegen einen Tyrannen für zulässig. Auf Hilfe von oben hofft dagegen der Heilige Vater in Rom. In einer Ansprache auf japanissch wies er auf die „Gefahr eines Krieges“ in der Region hin und meinte, er wolle „für Frieden beten“.

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