„Das hat nichts mit dem Islam zu tun“

■ Der Golfkonflikt und Husseins Aufruf zum „Heiligen Krieg“ beherrschen die Diskussionen unter kurdischen und irakischen Exilanten und in den Moslem-Gemeinden / „Als die Kurden mit Giftgas bombardiert wurden, hat keiner nach Boykott gerufen“

Die Verbitterung in seiner Stimme ist nicht zu überhören. „Als Saddam Hussein Tausende von Kurden mit Giftgas umgebracht hat, war nirgendwo die Forderung nach Boykott gegen Irak zu hören. Im Gegenteil - die Weltöffentlichkeit hat anfangs nicht mal geglaubt, daß Giftgas eingesetzt wurde.“ Dschingis, gebürtiger Kurde, schon lange in Berlin, hätte gegen einen gezielten Blitzangriff auf das Hauptquartier Saddam Husseins nichts einzuwenden. „Er ist und bleibt ein Mörder.“ Daß sich westliche Nationen, allen voran die USA, nun im Golf zur Weltpolizei aufschwingen, erfüllt ihn wiederum mit gehörigem Mißtrauen. Allein taktisches Kalkül billigt er Washington zu. „Schließlich sind jetzt die Ölfirmen in Gefahr.“ Zusammen mit Freunden betreut Dschingis mehrere Überlebende der irakischen Giftgasangriffe, die jetzt im Ostberliner Krankenhaus Buch behandelt werden. Auch dort beherrsche Verbitterung und Resignation die Stimmung angesichts der Doppelbödigkeit westlicher Moral. „Welchem Politiker soll man denn noch glauben, wenn sie vom Schutz der Menschenrechte reden.“

Dschingis hofft, daß ein Krieg verhindert wird. Eigentlich könne Hussein sich das angesichts der wirtschaftlichen Situation nicht leisten. Falls ein Konflikt mit der Türkei entsteht, „sind es wieder die Kurden, die alles verlieren. Denn dieser Krieg würde auf kurdischem Territorium stattfinden.“

Nicht nur unter kurdischen Exilgruppen, auch in den moslemischen Organisationen in Berlin dominiert ein Thema die Debatten: der Konflikt im Golf. Gegenüber der Presse gibt man sich jedoch zurückhaltend wie zum Beispiel die „Islamischen Föderation“, ein Zusammenschluß, dem hauptsächlich Moscheevereine, aber auch andere Organisationen angehören. Die Mitglieder sind hauptsächlich türkischer, aber auch deutscher, iranischer und arabischer Herkunft. Als „sehr unerfreulich“ wertet Mehmet Algan von der Föderation den Golfkonflikt und meint damit sowohl das Verhalten des Iraks als auch die westliche Truppenpräsenz im arabischen Raum. Algans Kommentar zu Saddam Husseins Aufruf an alle Muslime zum „Heiligen Krieg“ dürfte über alle Glaubensunterschiede hinweg auf Konsens stoßen. „Kein Krieg ist heilig.“

Übergriffe, wachsende Aggressionen oder gar Bombendrohungen, wie sie eine Münchner Moschee vor wenigen Tagen erhielt, hat es in Berlin nicht gegeben. Von dem Münchner Vorfall überrascht sei er nicht, erklärte Abdul -Mohsin Alkonavi, Leiter des telefonischen Glaubensnotdienstes für Muslime in Berlin. Daß die Muslime den Golfkrieg sehr kontrovers diskutierten und nicht einhellig in die Verdammung Saddam Husseins einstimmten „zieht natürlich Drohungen nach sich“. Die Deutschen, sagt Alkonavi, würden eben die Herangehensweise der Muslime nicht verstehen. „Unumstritten ist nur eines: die Existenz Allahs, alles andere steht zur Diskussion.“

Dem würde sich zweifellos auch Mohammed Herzog, Gründer des Berliner Vereins „Freunde des Islam“, anschließen. Herzog, gebürtiger Berliner und vor Jahren zum Islam konvertiert, führt regelmäßig deutschsprachige Muslime zusammen und engagiert sich in Berlin für eine Verbreitung des Islam, aber auch für dessen Öffnung gegenüber anderen Religionen. „Der Mann ist verrückt“, lautet sein knapp formuliertes Urteil über den irakischen Staatspräsidenten. „Was da unten gemacht wird, hat mit Islam nichts zu tun.“ Allerdings befürchtet er, daß Saddam Husseins Aufruf zum „Heiligen Krieg“ durchaus auf große Resonanz stoßen wird. Von seinen jordanischen Freunden habe er erfahren, daß dort per Rundbrief für eine Miliz zur Unterstützung des Iraks mobilisiert würde. Wäre Saddam Hussein ein wahrer Anhänger des Koran, so hätte er laut Herzog nie zum Heiligen Krieg aufrufen dürfen, „weil der Islam gar nicht bedroht worden ist“.

Beherrschendes Thema ist der Golfkonflikt nicht nur in der türkischen Presse in Berlin, sondern auch bei den türkischen Organisationen. Die Türkische Gemeinde, eine politisch eher konservativ orientierte Vereinigung, schickte unmittelbar nach dem irakischen Einmarsch ein Solidaritätstelegramm an die kuwaitische Botschaft in Bonn. Die Haltung der Regierung in Ankara, Sanktionen gegen den Irak mitzutragen, wird in der Gemeinde gutgeheißen. Auch für Kritik an der US -amerikanischen Truppenpräsenz sieht man keinen Anlaß. „Wer die Loyalität der Türkei zu den USA in Frage stellt, stellt auch unsere Nato-Mitgliedschaft in Frage“, argumentiert Pressereferent Zafer Öztürk. Angst herrsche allerdings unter den türkischen BerlinerInnen vor einem möglichen Angriff Bagdads gegen die Türkei. „Jetzt wird Saddam das nicht versuchen, noch muß er seine Kräfte anderswo bündeln.“ Daß in diesem Fall türkische Immigranten in die Armee einrücken, hält Öztürk für unwahrscheinlich. Die Türkei habe im Moment genug Soldaten.

Andrea Böhm