Noch ein Tag der Freude für die Deutschen

■ Kohls Regierungserklärung: „Auf diesen Termin kann sich jeder einstellen - besonders diejenigen, die in der DDR investieren wollen“ / Lafontaine: Nach der staatlichen nun auch die wirkliche Einheit

Bonn (ap) - Bundeskanzler Helmut Kohl erhob den Tag der Beitrittserklärung der DDR-Volkskammer zum „Tag der Freude für alle Deutschen“. Am 3. Oktober gehe in Erfüllung, wozu die Präambel des Grundgesetzes das gesamte deutsche Volk auffordere, nämlich „in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden“. Volkskammerabgeordnete und Regierung der DDR hätten in eindrucksvoller Weise den Auftrag erfüllt, den die Landsleute in der DDR ihnen bei den Volkskammerwahlen am 18. März erteilt hätten.

Der Beschluß der Volkskammer schafft nach den Worten des Bonner Regierungschefs endlich Klarheit darüber, wann die Einheit Deutschlands vollendet wird. Darauf könne sich jetzt jeder einstellen. Dies gelte insbesondere für diejenigen, die in der DDR investieren wollten.

Der Kanzler bekundete dem damaligen ungarischen Ministerpräsidenten Miklos Nemeth Dank, der mit der Öffnung der Grenze für die DDR-Flüchtlinge „den ersten Stein aus der Berliner Mauer geschlagen“ habe. Das Tempo der Entwicklung sei von den Landsleuten in der DDR bestimmt worden. Zu danken sei auch den westlichen Freunden und Partnern, allen voran dem amerikanischen Präsidenten Georg Bush sowie dem sowjetischen Präsidenten Gorbatschow, durch dessen Politik der tiefgreifende Wandel in Deutschland und Europa mit ermöglicht worden sei. In diesen Tagen gehe es natürlich auch um Währung, Wirtschaft und Finanzen, um schwerwiegende soziale Fragen und um ganz praktische Alltagssorgen vieler Menschen. Der Erfolg hänge entscheidend davon ab, „daß wir an diesem Wendepunkt deutscher Geschichte alle gemeinsam äußerste Anstrengungen unternehmen, um diese ungewöhnliche Herausforderung zu bestehen“. Auch der Beginn der sozialen Marktwirtschaft 1948 sei alles andere als einfach gewesen.

Der saarländische Ministerpräsident und Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten, Oskar Lafontaine, begrüßte für die Sozialdemokraten den Beitrittsbeschluß der Volkskammer. Er sei die Grundlage für eine große Zukunftsaufgabe, die sich jetzt stelle: Nach der staatlichen Einheit gelte es jetzt, die wirkliche Einheit herzustellen, die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse für die Menschen in ganz Deutschland.

Ausdrücklich hob Lafontaine auch Kohls Leistung hervor. Das Ergebnis des Treffens mit dem sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow sei ein Erfolg der Regierung Kohl gewesen, von dem alle Menschen in Deutschland profitierten. Jetzt gelte es, auf Gorbatschows Versuch einer Europäisierung der Sowjetunion eine positive Antwort zu geben.

Für die Zukunft nannte Lafontaine zwei Verpflichtungen: Der Einigungsprozeß müsse demokratisch und europäisch organisiert werden. Zur Demokratie gehöre die Entscheidung, daß es eine gesamtdeutsche Verfassung erst dann gebe, wenn das Volk darüber abgestimmt habe.