Folter im Dienste der Menschheit?

■ Tierschützer protestieren gegen Affenversuche im Zentralen Tierlaboratorium, dem sogenannten „Mäusebunker“ / Die Tiere leben monatelang mit dicken Schläuchen im Gehirn / Tierschutzkommission soll endlich „quasiparitätisch“ besetzt werden

West-Berlin. Der ein Kubikmeter große Stahlrohrkäfig läßt dem ausgewachsenen Rhesusaffen kaum Platz, sich zu bewegen. Ein dicker Schlauch verbindet den Kopf des Tieres mit dem Nebenraum. Hier ist der Arbeitsplatz des Experimentators, der den Primaten durch einen Monitor beobachtet und durch Elekrostimulation in die Hirnregionen des Affen eingreifen, bzw. Blut entnehmen kann. Denn in dem Schlauch befinden sich die Zuleitungen für Elektroden und Kanülen, die dem Primaten in einer dreizehnstündigen Operation in sein Gehirn eingepflanzt wurden. Sechs bis acht Monate leiden die Tiere an den Schläuchen im Gehirn, an Kopfschmerzen und an Hospitalismus. Weil die Affen viel Bewegung brauchen und an die Isolation nicht gewöhnt sind, reißen sie sich immer wieder die Schläuche aus dem Kopf. Zwei Rhesusaffen seien bereits operiert worden, drei weitere, darunter ein Jungtier, sollen spätestens im Oktober operiert werden. Neun weitere Affen befinden sich in der sogenannten „Vorratshaltung“. So schilderten Tierversuchsgegner, unter anderem der Arbeitskreis Tierschutz in der SPD, die Situation von Rhesusaffen im Zentralen Tierlaboratorium der FU - Kritikern bekannt als „Mäusebunker“ - das sie Anfang des Monats besichtigen konnten.

Zweck der Versuche ist es, die Mechanismen bestimmter Gesundheitsstörungen wie streßbedingtes Ausbleiben der Menstruation, durch Übergewicht bedingter Diabetes oder der bei Kindern durch das soziale Umfeld bedingte Minderwuchs zu untersuchen. Das Forschungsvorhaben steht unter der Bezeichnung „Der Einfluß des zentralen Nervensystems auf die hormonelle Sekretion“ unter der Leitung von Professor Quabbe, tätig am Klinikum Steglitz. Finanziert werden die Versuche schon seit Beginn der siebziger Jahre von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und werden seitdem auf Antrag immer wieder für zwei Jahre verlängert.

Die beschriebene Haltung von Affen in Käfigen mit Kugelgelenk, über das der Schlauch verläuft, gilt in Forschungskreisen als modernes Haltungssystem, für die Tierschützer ist es jedoch nichts anderes als „grausam und Tierqälerei“. Bis auf eine kleine Liegefläche ist der Käfig leer, die Affen haben weder Spiel- noch Beschäftigungsmöglichkeiten, Spezialfutter oder Obst erhalten die Tiere nur einmal am Tag.

Was die Tierversuchsgegner bei ihrer Besichtigung jedoch noch nicht wußten, ist, daß das Forschungsvorhaben noch eine zweite Versuchsreihe beinhaltet, die zwar zum Zeitpunkt des Besuchs abgeschlossen war, jetzt aber neu aufgenommen werden soll: Dabei sitzen die Tiere, zwei Rhesusaffen, fünf Tage pro Woche fest fixiert in sogenannten „Affenstühlen“. Offizielle Begründung: Der in die Halsschlagader zur Gabe von Infusionen eingeführte Katheter knicke zu leicht ab, wenn sich das Tier zu viel bewegte, deshalb müsse es fixiert werden. „Das ist bei diesen lebendigen, intelligenten Tieren wirklich Folter!“ erklärte Christiane Bernhardt vom Arbeitskreis Tierschutz der SPD gegenüber der taz. „Es gibt keinen Grund, eine solche Tierquälerei zu rechtfertigen“.

Deshalb haben die Abgeordneten Heidi Wagner (SPD), Hilde Schramm (AL) und Horst Kliche (SPD), die Tierschutzarbeitskreise von AL und SPD sowie die Tierversuchsgegner Berlin e.V. den Senat und die zuständige Behörde unter Gesundheitssenatorin Stahmer (SPD) aufgefordert, die bis Ende 1991 geltende Genehmigung dieser Versuche zurückzunehmen und künftig völlig zu unterbinden. Die laufenden Versuche müßten gestoppt werden. Der Antragsteller habe entgegen den gesetzlichen Bestimmungen des Tierschutzgesetzes nicht wissenschaftlich begründet dargelegt, inwiefern die angestrebten Versuchsergebnisse für wesentliche Bedürfnisse von Mensch und Tier einschließlich der Lösung wissenschaftlicher Probleme von hervorragender Bedeutung seien. Ergo sei dem vom Gesetz geforderten Abwägungsgebot nicht nachgekommen worden.

Daß die Versuche bislang überhaupt laufen konnten, offenbart nach Ansicht von Bernhardt noch ein weiteres Problem: Die sechsköpfige Tierversuchskommission, die die zuständige Senatsverwaltung bei den erforderlichen Genehmigungen berät und der jedes geplante Experiment zur Begutachtung vorgelegt werden muß, ist nur zu einem Drittel mit Tierschützern besetzt. Die auch in den Koalitionsvereinbarungen festgehaltene Forderung, wonach außerdem wenigstens ein Wissenschaftler in der Kommission sitzen soll, der Tierversuche kritisch sieht, wurde bislang nicht erfüllt. Die Mitglieder dieses Gremiums werden ebenfalls von Frau Stahmer berufen.

maz