: Entsorgung der Vergangenheit
■ Zum Streit um die Stasi-Akten
Das Ministerium für Staatssicherheit war - formal gesehen eine zentrale Behörde der DDR. Mithin gehören alle in der Ostberliner Normannenstraße und in den regionalen Außenstellen angesammelten Akten, Tonbänder, Filme, elektronischen Datenspeicher - auch aus formalen Gründen in das Bundesarchiv der künftigen gesamtdeutschen Republik.
Nun hat man nicht einfache Ministerialakten vor sich, sondern hochsensible Personaldossiers. Mit diesen Dossiers wird zur Zeit ein schwunghafter Handel betrieben, neue Karrieren werden begründet, alte abgesichert. In diesen Dossiers lassen sich die ekligen kleinen deutschen Denunzianten zu Zehntausenden finden. Die fürsorglichen DDR -Ministerialbeamten befürchten wieder einmal „Mord und Totschlag“, falls die ganze Wahrheit ans Licht kommt. Schäuble hingegen will sich die Möglichkeit offen halten, Beamte im Öffentlichen Dienst auf eine mögliche Stasivergangenheit überprüfen zu lassen. Im übrigen ist Vorsicht geboten: Wann immer in der Bundesrepublik offiziell von der Benutzung dieser Akten „im Rahmen der geltenden Gesetze“ gesprochen wird, sind nicht in erster Linie die Interessen der Opfer des Stasi-Staates gemeint, sondern der Zugriff von Verfassungsschutz und Militärischem Abwehrdienst auf die Hinterlassenschaft der Stasi. Insofern geht es um Geschichte, die noch raucht.
In dieser Situation will die Bundesregierung die Akten nicht etwa dem Bundesarchiv übergeben, sondern sie will den guten Namen dieser Institution gebrauchen und den Präsidenten des Archivs zum „Sonderbeauftragten der Regierung“ machen. Damit soll optisch der Eindruck erweckt werden, als ginge es tatsächlich um „Aufarbeitung der Geschichte und sachgerechte Verwahrung“ der Akten, während gleichzeitig bundesdeutsche Geheimdienste nach den Filetstücken in diesen schriftlichen und elektronischen Unterlagen schnüffeln und während die Unterlagen für Personalbeurteilungen und Strafverfahren zusammengesucht werden.
Das bringt den Präsidenten des Bundesarchivs, Professor Friedrich Kahlenberg, in gefährliche Nähe zur exekutiven Gegenwart. Kahlenberg wäre gut beraten, wenn er dieses Zusatzamt ausschlagen würde. Dann nämlich müßte weiter auf offener Bühne verhandelt werden, was mit den Stasi-Akten geschieht. Die Volkskammer hat dazu weder Zeit noch die notwenige dauerhafte Legitimation. Der gesamtdeutsche Bundestag sollte sich bereits nach dem 3. Oktober dieses Problems annehmen.
Götz Aly
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