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Streit um Stasi-Akten

■ Berliner Politiker empört über die Aushebelung des Volkskammergesetzes Die Stasi-Personaldateien sollen an das Bundesarchiv übergehen

Berlin (taz) - Als eine „große Ungeheuerlichkeit“ bezeichnete der frühere Regierungsbevollmächtigte zur Auflösung der Staatssicherheit, Werner Fischer, gestern die seiner Ansicht nach geplante „Übergabe von mehr als sechs Millionen Stasi-Personaldateien an das Bundesarchiv“. Fischer äußerte die Vermutung, Bonn wolle die Informationen für den eigenen Geheimdienst nutzen. Der Vorsizende des Sonderausschusses zur Kontrolle der Stasi-Auflösung, Joachim Gauck empörte sich, daß nach bundesdeutschem Archiv- und Datenschutzrecht „unter Umständen eine täterbegünstigende Form von Recht zustande“ komme. Die Volkskammer änderte gestern spontan und mit satter Zweidrittelmehrheit ihre Tagesordnung.

Die Aufregung dreht sich um ein Detail des Staatsvertrages, mit dem das erst in der vergangenen Woche von der Volkskammer beschlossene Gesetz „über die Sicherung und Nutzung personenbezogener Daten des ehemaligen MfS“ ausgehebelt werden soll. Sah dieses Gesetz (siehe nebenstehende Dokumentation) den Verbleib der Stasi-Dossiers auf dem ehemaligen Territorium der DDR vor, die dort in „Sonderarchiven“ gelagert und speziellen Landesbeauftragten mit DDR-Abstammungsnachweis unterstellt werden sollten, so sieht der Staatsvertrag einen „Sonderbeauftragten der Bundesregierung“ vor. Dieser Sonderbeauftragte soll der Präsident des Bundesarchivs in Koblenz werden, Professor Friedrich Kahlenberg. Dort herrschte gestern Informationssperre. „Die Entscheidungen im politischen Raum“ seien „noch nicht abgeschlossen“. Allerdings verwies man im Bundesarchiv darauf, daß die Akten nicht nach Koblenz verlagert werden sollten, und daß Kahlenberg eben nicht als oberster deutscher Archivar, sondern als „Sonderbeauftragter der Regierung“ tätig werde. Das Zentrale Staatsarchiv der DDR in Potsdam hat bereits die internen Verwaltungsakten des ehemaligen MfS übernommen. Diese Bestände werden also nach dem 3. Oktober Bestände des Bundesarchivs sein. Sie unterliegen dann - wie das Schriftgut aller aufgelösten DDR -Ministerien, soweit es nicht durch Bonner Behörden übernommen wird - dem Bundesarchivgesetz.

Unklar ist, was mit den sechs Millionen personenbezogenen Dossiers geschehen soll. Hier kreuzen sich unterschiedliche Interessen. Insbesondere die FDP monierte, daß das von der Volkskammer verabschiedete Gesetz keine Überprüfung von Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes zulasse. Der Militärische Abschirmdienst (MAD) und der Verfassungsschutz wollen ebenfalls den Zugriff auf einen Teil der Stasi -Dateien gesichert wissen und sie „im Rahmen ihrer gesetzlichen Aufgaben“ nutzen. Daneben stehen die Interessen an einer möglichst umfassenden und detaillierten Aufarbeitung der DDR-Geschichte einerseits und andererseits das Bedürfnis nach dem Ziehen eines Schlußstriches, also nach der Vernichtung der personenbezogenen Stasi-Unterlagen, die vor allem den vielen zehntausend informellen Mitarbeitern des Staatsicherheitdienstes - also den kleinen und großen Denunzianten von nebenan eine Perspektive eröffnen soll.

Das Bundesarchivgesetz sieht vor, daß nur die Unterlagen, die das Post- und Fernmeldegeheimnis verletzen, nicht in Archive übernommen werden dürfen. Der Volkskammer -Vizepräsident Wolfgang Ullmann (Bündnis 90/Grüne) sieht durch die im Staatsvertrag vorgesehene Regelung das Selbstbestimmungsrecht der Bürger der DDR verletzt und „eine Verhöhnung der Opfer des SED-Regimes“.

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