Wege des Hasses bleiben unerforscht

■ Enttäuschende „Haßkonferenz“ in Oslo / Antiarabische Scheuklappen und Schuldzuweisungen statt Analyse

Von Reinhard Wolff

Zufrieden sei er, meinte der Initiator Elie Wiesel am Mittwoch abend nach Abschluß der Konferenz „Anatomie des Hasses“ etwas einsilbig - auch wenn sich seine „romantische Vision“ nicht erfüllt habe. Diese Vision, Staatsmänner wie Mitterand, Havel oder Carter würden sich spontan ins nächste Flugzeug setzen, um zu Verhandlungen mit Saddam Hussein nach Bagdad zu jetten, war nie ein ernsthaftes Thema während der viertägigen Konferenz in der norwegischen Hauptstadt.

Bemühte sich Ex-Präsident Jimmy Carter zumindest um etwas Distanz und Analyse - „Saddam Hussein ist kein Hitler, so ein Vergleich führt nur zu unfruchtbaren Schlammschlachten“

-, kam es ansonsten teilweise faustdick zur Golfkrise: Antiarabische Ausfälle, Scheuklappen zu allem, was nicht dem israelischen Standpunkt im Nahostkonflikt entsprach, oft ein reiner antiarabischer Feldzug. Die Karten hierfür waren allerdings schon mit der TeilnehmerInnenliste gemischt worden. Unter den 60 Teilnehmern - die - Innen waren praktisch nur durch Chai Ling, Nadime Gordimer und Elena Bonner vertreten -, überwog der Blick durch Israels Brillen. Eine einzige arabische Stimme war vertreten, die des palästinensischen Chefredakteurs Hanna Siniora.

Als dieser bei dem Versuch einer Analyse der Golfkrise „Ich habe immer die Besetzung Kuwaits verurteilt“ - nur auf massive Polemik, Aggression ja geradezu haßerfüllte Ausfälle bei dieser Anti-Haß-Konferenz stieß, platzte nicht nur Günter Grass, sondern auch Nadime Gordimer der Kragen: Mit welchem Recht gerade der israelische Gesundheitsminister Ehud Olmert moralische Zensuren verteile, angesichts dessen, was in Palästina geschehe?

Grass war neben Gordimer und Vaclav Havel überhaupt einer der wenigen Lichtblicke dieser enttäuschenden Veranstaltung. In einem engagierten Beitrag verwies er auf die Rolle des Westens bei der Hochrüstung des Irak, auf die von bundesdeutschen Firmen gelieferten Giftgasfabriken. „Es war nicht Haß, was diese Firmen veranlaßt hat, Waffen an den Irak zu verkaufen, es war nur das unbegrenzte Profitstreben.“

Auch auf die deutsche Einigung ging er ein: „Das ostdeutsche Volk, das sich endlich frei glaubte von staatlicher Diktatur, wird nun die Diktatur profithungriger Kolonialisten kennenlernen: Häßlich sieht sie aus, diese Einheit.“ Angst habe er vor dem Haß, der bei den Ostdeutschen aufblühen werde, wenn diese ihre Rolle als Opfer des westdeutschen Kolonialismus erst verstünden. Und Angst habe er auch vor dem schon erblühten Fremdenhaß in Ost - und Westdeutschland. Die Oder-Neiße werde die neue Wohlstandsgrenze zwischen West- und Osteuropa werden. Auch eine neue Grenze des Hasses?

Havel knüpfte in seinem Beitrag, einem der ergiebigsten der vier Tage in Oslo hieran an: „Nach der spontanen und wilden Freude über die neue Freiheit in Osteuropa wird unweigerlich eine Periode von Enttäuschung, Depression kommen. Gerade die Länder Osteuropas haben schon jetzt das Bewußtsein, von der Geschichte schlecht behandelt worden zu sein, von Hitler, von Stalin, von dessen Nachfolgern unterdrückt worden zu sein.“ Diese von Havel als „übertrieben“ eingeschützte Empfindlichkeit gegen neue Benachteiligungen, Frustrationen biete ein gefährliches Feld für das Anwachsen von Haß. „Ich meine nicht, daß es unausweichlich ist. Aber das Feld für kollektive Haßausbrüche ist bestellt.“

Ungewollt lieferte Frankreichs Präsident Mitterand in seinem Beitrag eine klassische Bestätigung für den Eurozentrismus. Für Mitterand ist es die westeuropäische Zivilisation, die die Prämissen für die politische Moral liefert, die Basis dafür, mit ihrem Vorbild den Haß und Unfrieden in aller Welt zu lösen. Zu diesen Überlegenheitsphantasien, die sich allein aus wirtschaftlicher Vormachtstellung begründen, waren es einmal mehr Gordimer und Grass, die die notwendigen Fragezeichen setzten: Die französischen Massaker in Algerien und Madagaskar, die Waffenlieferungen an den Irak, die Atombombenversuche im Stillen Ozean.

Zu einer konkreten Aktion forderte Elena Bonner die Konferenz auf: Eine interantionale Kommission solle in den Kaukasus entsandt werden, um einen neuen Völkermord an den Armeniern zu verhindern. In einem engagierten Beitrag schilderte sie die katastrophale Lage in den zentralasiatischen moslemischen Sowjetrepubliken. Die Hälfte der Bevölkerung lebe unterhalb der Armutsgrenze, was eine Einkommen von weniger als 87 Rubeln oder 12 Dollar im Monat bedeute.

„Armut“, so John Kenneth Galbraith in seinem Beitrag, „ist die ökonomische Basis von Konflikten und die eigentliche Quelle von Konflikten, Krisen, von Haß. Laßt uns den Widerstand forcieren gegen Systeme der Unterdrückung, die die politischen und wirtschaftliche Merkmale des Hasses sind. Laßt uns die durch die militärische Entspannung in Europa freiwerdenden Mittel in die ärmsten Länder leiten.“