: Rasante Mietsteigerungen in der DDR
■ BRD-Mietrecht wird entsprechend dem Einigungsvertrag auf das Gebiet der jetzigen DDR ausgedehnt / Mieterhöhungen von mehr als zehn Prozent sind in kürzester Zeit vorprogrammiert
Berlin (taz) - Das Mietrecht der BRD wird der DDR fast ungemildert übergestülpt, wenn der Einigungsvertrag am 3. Oktober rechtskräftig wird. Folge: Die Mieten werden erheblich steigen. Dies geht aus einer Anlage zum Einigungsvertrag hervor, die der taz vorliegt.
Demnach wird der nahezu absolute Kündigungsschutz in der DDR abgeschafft. Die Mieten neu erbauter oder umfassend instandgesetzter Wohnungen können ab sofort völlig frei vereinbart werden. Modernisierung von Wohnraum darf künftig analog dem BRD-Recht mit elf Prozent der Baukosten auf die Miete umgelegt werden. Selbst Instandsetzung wird auf die Miete aufgeschlagen, was nach BRD-Recht nicht zulässig ist. Alle Mieterhöhungen des noch preisgebundenen Wohnraums sind in das Ermessen der Bundesregierung gestellt. Diese Regelungen sind „wohl schon eingetütet und nicht mehr zu ändern“, vermutet der Mieterbund der DDR.
Nach DDR-Recht war eine Kündigung wegen Eigenbedarfs nur zulässig, wenn dem Vermieter sonst eine „nicht zu rechtfertigende Härte“ gedroht hätte. Generell mußte bei einer Kündigung dem Mieter eine Ersatzwohnung besorgt werden. Dies fällt ab sofort ganz weg. Es gilt nur noch die gegenüber der BRD eingeschränkte Eigenbedarfskündigung, diese aber nur bis zum 31. Dezember 1992. Danach gilt BRD -Recht. „Mieter können damit auf die Straße geräumt werden“, meint DDR-Mieterbundvorsitzender Göhring.
Auch der Kündigungsschutz für Gewerberaum wird de facto aufgehoben: Künftig kann einem Gewerbemieter gekündigt werden, wenn er nicht mehr zahlen kann oder will als ein anderer Interessent, solange die ortsübliche Vergleichsmiete nicht überschritten wird. Und die steigt laufend. Gravierender für die Masse der Mieter sind die nahezu uneingeschränkten Möglichkeiten zur Mieterhöhung. Allein die Umlage von elf Prozent der Modernisierungskosten auf die Miete bedeute, so der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, Vetter, eine „Verzehnfachung der jetzigen Mieten“. Und selbst bei Sozialwohnungen - dazu gehören zum Beispiel die städtischen Altbauwohnungen - sollen Modernisierungen mit elf Prozent der Baukosten zu Buche schlagen dürfen. Die Umlage gilt auch für Modernisierungen, die schon begonnen wurden, aber am 3. Oktober noch nicht abgeschlossen sind.
Nach dem Einigungsvertrag dürfen aber auch noch zusätzlich „erhebliche Instandsetzungsmaßnahmen“ in einem „bestimmten Umfang“ auf die Miete umgelegt werden, die genaue Höhe regelt die BRD-Regierung später.
Fatal dürfte es sich vor allem auswirken, daß die Mieten von Wohnungen ganz freigegeben werden, die „wiederhergestellt wurden und auf Dauer zu Wohnzwecken nicht mehr benutzbar waren“. Das öffne, so der Mieterverein, „Spekulation mit Leerstand Tür und Tor“. Frei werden die Mieten auch bei Läden oder Fabriketagen sein, die als Wohnungen vermietet wurden. Auch bei den übrigen noch gebundenen Mieten wie auch bei den - vergleichsweise billigen - Nutzungsentgelten für gepachtete Wochenendgrundstücke ist es in das Ermessen der Bundesregierung gestellt, diese zu erhöhen. Bei den Plattensiedlungen der Trabantenstädte wird generell eine „schrittweise Erhöhung unter Berücksichtigung der Einkommen“ auf West-Niveau angepeilt. Eine westdeutsche Sozialwohnung mit zwei Zimmern kostet circa 500 Mark warm.
Eva Schweitzer
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