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Späte Würdigung für Deserteure

■ Offizielle Denkmal-Enthüllung in Göttingen / CDU zetert bis zum Schluß über „diese Peinlichkeit“

Göttingen (taz) - Erstmalig in der Bundesrepublik werden die in breiten Teilen der Öffentlichkeit immer noch als Vaterlandsverräter und Feiglinge bezeichneten Deserteure Samstag mittag in Göttingen offiziell mit einem Denkmal gewürdigt. Auf einem zentralen Platz der Stadt enthüllt Oberbürgermeister Artur Levi (SPD) im Rahmen einer Kundgebung den Gedenkstein. Das Mahnmal, ein Granitrelief des Bildhauers Joachim Nitsch, ist jenen Männern gewidmet, „die sich aus Gewissensgründen dem Kriegsdienst für die nationalsozialistische Gewaltherrschaft verweigert haben und dafür verfolgt, getötet und verleumdet wurden“.

Auslöser für die seit ein paar Jahren in der Bundesrepublik und nun auch in der DDR zaghaft geführte Debatte über das Schicksal und die Motive deutscher Deserteure war die Errichtung eines „Denkmals für den unbekannten Deserteur“ durch eine Gruppe kriegsdienstverweigernder Reservisten im Jahr 1986 in Bremen. Nun ergriffen auch in Göttingen die „Reservisten verweigern den Kriegsdienst“ die Initiative für ein Deserteursdenkmal. Ein Ziel der Gruppe, eine öffentliche Diskussion über das Thema zu erzwingen, war schnell erreicht: in Leserbriefen, bei Veranstaltungen und mit Presseerklärungen meldeten sich Bundeswehroffiziere und Vertriebenenfunktionäre, Historiker und Wehrmachtsflüchtlinge, die Bundestagspräsidentin und der SPD -Vorsitzende zu Wort.

Ein erster Antrag der sozialdemokratischen Fraktion im Stadtrat für die Errichtung einer Gedenktafel scheiterte im September 1989 am streit um den Widmungstext. Während die SPD allenfalls der Fahnenflüchtigen aus Hitlers Wehrmacht gedenken wollte, sprach sich die Grün-Alternative Liste für die Einbeziehung aller Deserteure aus. Die sozialdemokratische Fraktionsführung, von der Parteirechten wegen ihres Engagements in dieser Sache ohnehin heftig unter Druck, ließ sich aber auf keine weiteren Zugeständnisse ein. Um das Vorhaben nicht völlig zu gefährden, mußte die GAL einlenken. Am 4. Mai dieses Jahres sprach sich der Göttinger Rat als erstes Kommunalparlament mehrheitlich für die Aufstellung eines Deserteursdenkmals aus.

Die in der Auseinandersetzung unterlegene CDU schlug die Einladung zur Enthüllung der Gedenktafel aus, „einer Peinlichkeit, die Göttingen hätte erspart bleiben können“.

Reimar Paul

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