: Nicht zu ändernde Andersartigkeit?
■ Bericht über Sinti und Roma, „Tagebuch“, 3sat, So., 19.10 Uhr
Dieser Film dürfe auf keinen Fall gesendet werden, forderte bereits in der vergangenen Woche der Vorsitzende des Zentralrates der Sinti und Roma, Romani Rose, denn er erinnere an die Diffamierungen der NS-Propaganda von der „nicht zu ändernden Andersartigkeit der Zigeuner“. Daß die Sinti und Roma „anders“ sind, hebt der von der Redaktion Kirche und Leben produzierte Film über eine rumänische Familie auf der Flucht von Rumänien nach Berlin tatsächlich mehrmals hervor - doch wenn das auf manche Betrachter diffamierend wirkt, schien dies zumindest nicht in der Absicht der Produzenten zu liegen.
Sicher, der Film bleibt an der Oberfläche, ein 15minütiger Beitrag über das Schicksal, die Wünsche und Träume einer Familie, die aus ihrem Land flüchten muß, die eine völlig andere Sozialisation erfahren hat als die hier lebenden Deutschen, kann nicht sonderlich tiefgründig sein. Wettgemacht werden sollte dieser Zeitmangel wohl durch permanent gegeneinandergeschnittene Szenen: Die rumänische Familie im Zug - Schnitt - die Opfer in Temesvar - Schnitt Zug - Schnitt - leuchtender Kudammboulevard - Schnitt lächelnde Rumänin - Schnitt - Bilder über Gewalt gegen Ausländer. Was diese Menschen selbst zu den Gründen ihrer Flucht zu sagen haben, erfuhren die Zuschauer leider nur unvollständig; die Simme des Übersetzers klang undeutlich aus dem Off, nur Versatzstücke wie „kein Essen“, „von Polizei geschlagen“, „besser weg“ waren zu verstehen.
Das Objektiv der Kamera blieb an den Dingen kleben, die mensch tagtäglich sehen und hören kann: der überfüllte Bahnhof in Lichtenberg, aneinandergedrängt schlafende Menschen mit für Deutsche fremd wirkender Kleidung und fremder Sprache; der schimpfende Berliner Taxifahrer, der sich mit verkniffenem Mund darüber beschwert, daß die Zigeuner trotz fehlender Visa nicht abgeschoben werden, war genauso im Bild wie der verständnisvolle Grenzbeamte, der es aus „humanitären Gründen“ nicht über sich bringt, die Leute abzuweisen, auch wenn sie die von Innenminister Diestel vorgeschriebene Einladung nicht vorweisen können. Warum aber der eine unwillig, der andere verständnisvoll ist, wurde nicht weiter hinterfragt. Genauso wenig deutlich wurde, warum die Menschen noch immer aus Rumänien flüchten, obwohl der Ceausescu-Terror doch vorbei sein soll. Andererseits die von Rose beanstandeten Diffamierungen - „Sie machen alle Notdurftgeschäfte in der Bahnhofshalle!“ „Die betteln und stehlen“ - waren keine Äußerungen der Autoren, sondern O -Töne von „guten deutschen Bürgern“, wie man sie täglich auf der Straße hören kann. Hier wurde die diffuse Ablehnung der Deutschen gegen alles, was fremd ist, auf den Punkt gebracht. Der Film konterte und zeigt sekundenhaft eine andere Realität, einen seit Monaten in Berlin lebenden Rom, der nur eines will, nämlich arbeiten, „egal was“. Und: Das Tagebuch beließ es nicht bei dem Film, sondern sprach im Anschluß mit dem Hamburger Vorsitzenden der Sinti und Roma -Union, Roman Krawcynski. Seine Worte vom Kulturkannibalismus a la „Zigeunerschnitzel“ und der hier stattfindenden Konfrontation der Ersten mit der sogenannten Dritten Welt blieben nachhaltig in den Ohren derjenigen hängen, die sich vielleicht ein wenig die Augen öffnen ließen. Und nur so können auch die letzten Worte des Films gemeint gewesen sein: „Wir werden mit ihnen leben müssen.“ In den Ohren der deutschen Zuschauerin war das keine herabsetzende Bemerkung über die Sitten und Gebräuche der Roma und Sinti, sondern eine Kampfansage gegen Deutschtümelei.
Martina Habersetzer
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