Dann lieber Plastik Zur Eröffnung der Biennale

Das Festivalgebäude am Lido ist gar kein Kino. 'Casino‘ steht in großen Lettern über dem Eingang des häßlichen Kastens aus Mussolinis Zeiten: Den Rest des Jahres wird hier nicht um Liebe, Haß und andere Leidenschaften gespielt, sondern um Geld. Aber jetzt ist Biennale, und deshalb hat sich das Casino verkleidet. Mit einem Zirkuseingang aus angemalten Pappwänden, mit eifrig angekarrten Palmen und frisch aufgeschlagenen Zelten (für die Fernsehteams).

Als ob es nicht auch in diesen zwei Wochen um Geld ginge. Das Festival leidet unter Finanznöten, Biennale-Chef Guglielmo Biraghi sieht schwarz, schreiben die Zeitungen. Und daß er sich freut, weil die Amerikaner wieder da sind: Scorsese, Philip Kaufmann und James Ivory im Wettbewerb und Warren Beattys Dick Tracy als erster Film, gestern nachmittag, noch vor der eigentlichen Eröffnung. Premiere also nicht offiziell mit von Trottas L'Africaine, nicht mit Barbara Sukowa und Stefania Sandrelli als Martha und Anna, nicht mit Eurofilm und Autorenkino bzw. dem, was noch davon übrig ist, sondern mit Madonna und einer lärmenden Comic-Welt, mit guten Helden und bösen Gangstern, mit Pappache, Make-up und Maskerade. Hunderte von Fotografen umzingeln Warren Beatty und rufen „Warren, Warren“, damit er ihnen einen Blick gönnt. Aber der zieht nichtmal seine Sonnenbrille aus, sagt auf der Pressekonferenz nur „Ja“ und „Nein“ und „Ich weiß nicht“ oder „Sit down“. Die Italiener lieben das.

In Dick Tracy tragen die Schauspieler Comic-Masken. Al Pacino als Big Boy, William Forsythe als Flattop, Dustin Hoffman als Mumbles. Mir ist er als Dustin Hoffman lieber. Mumbles hat einen schiefen Mund und nuschelt - soll wohl an Rainman erinnern. Aber Kino ist keine Frage der Verpackung. Eine Rolle spielen ist etwas anderes als sich verkleiden. Kino ist eine künstliche Welt, aber die Maschinen dürfen nicht klappern. Warren Beatty will zwar spielen, zeigt aber nur Maschinerie. Madonna ist reines Produkt, Dick Tracy Kino für Plastikmenschen.

Margarethe von Trotta will nicht einmal mehr spielen. Sie geht mit heiligem Ernst zu Werk. „Ich bin ein Opfer“, ist der erste Satz, den sie ins Mikrofon sagt. Und das erste Bild von L'Africaine: Stefania Sandrelli im weißen Nachthemd, ein hilfloses Wesen, eine bleiche Kranke, ein Opfer auch, aber eines voller Schuldgefühle, denn sie ist selber schuld an ihrem Krebs. Eigentlich müßte es um Eifersucht gehen, denn sie hat ihrer besten Freundin (Barbara Sukowa) den Mann (Sami Frey) ausgespannt, aber schließlich sind sie ja Frauen und deshalb findet der Zweikampf in Zeitlupe statt und ist eigentlich mehr ein Tanz, zivil, sanft und verständnisvoll. Am Ende sind sie versöhnt, ohne je gestritten zu haben. Barbara Sukowa darf nicht mal mit den Augen funkeln. Dann lieber Plastik.

Christiane Peitz