: Tarife für DDR-Staatsdiener
■ Alle bekommen mindestens 200 Mark mehr als Teuerungsausgleich Wer seinen Arbeitsplatz verliert, wird später verhandelt
Berlin (taz) - Für die rund 2 Millionen Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes in der DDR gibt es ab sofort mindestens 200 Mark mehr Lohn und Gehalt. Darauf haben sich die Tarifparteien in der Nacht zum Dienstag in Ost-Berlin geeinigt. Die Vereinbarung sieht eine Lohnerhöhung von 200 Mark ab 1. September für alle vor. Auszubildende im Öffentlichen Dienst der DDR erhalten 40 Mark mehr. Schon ab 1. Juli rückwirkend soll ein „Sozialzuschlag“ von 50 Mark pro Kind ausgezahlt werden. Diese Zusatszahlung bewirkt eine durschnittliche Lohn- und Gehaltserhöhung von rund 250 Mark. Der Tarifvertrag für den größten Tarifbereich der DDR gilt bis zum 1.5.1991.
Die Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (West), Verhandlungsführerin unter den 13 beteiligten Gewerkschaften, versteht die Lohn- und Gehaltserhöhung als „Nettolohnausgleich“, der lediglich die seit der Währungsunion gestiegenen Kosten durch Preissteigerungen und gestiegene Sozialversicherungskosten aufwiegen soll. Sie hat in einer Nebenabrede zum Tarifvertrag festschreiben lassen, daß die Bundesrepublik die Rechtsnachfolge für die abschließende DDR-Regierung übernimmt und der Tarifvertrag damit auch über den Beitrittstermin am 3.Oktober hinaus seine Gültigkeit behält.
Die Gewerkschaft ließ erkennen, daß sie die nächste Tarifrunde auf dem Gebiet der früheren DDR mit der für das kommende Frühjahr anstehenden allgemeinen Tarifrunde in Verbindung bringen will. Die Tarifverträge für den Öffentlichen Dienst der BRD laufen am 31.12.1990 aus.
Die Forderung der Gewerkschaft nach Arbeitsplatzsicherung für die derzeit 2 Millionen Angehörigen des Öffentlichen Dienstes der DDR wurde nicht in den jetzigen Abschluß mit einbezogen. Dafür wurde im Beisein von bundesdeutschen Regierungsvertretern verbindlich vereinbart, direkt im Anschluß an die jetzige Vereinbarung mit den Verhandlungen über die zukünftige Struktur des Öffentlichen Dienstes in der DDR zu beginnen. Dabei geht es vor allem um die Modalitäten der Umstrukturierung des Öffentlichen Dienstes der Noch-DDR nach der Vereinigung und die Übernahme der bundesdeutschen Tarifstrukturen in Bezug auf Arbeitsbedingungen und -zeit.
Im Einigungsvertrag wird davon ausgegangen, daß rund 650.000 von 1,7 Millionen Staatsbeschäftigten (dazu kommen noch die Beschäftigten bei Bahn und Post) ihren Arbeitsplatz verlieren werden, weil der Öffentliche Dienst in der DDR unverhältnismäßig aufgebläht ist. Es wurde vereinbart, daß jene Beschäftigten, die ihre Beschäftigung verlieren, nicht unmittelbar arbeitslos werden, sondern in „Warteschleifen“ von sechs bis neun Monaten einen Teil ihrer Bezüge weiter erhalten. Die Gewerkschaft hält die Zahl der zu Entlassenden für zu hoch und fordert, statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren das Geld in Qualifizierungsmaßnahmen zu stecken. Pauschale Entlassungen, zum Beispiel auf Grund früherer SED -Mitgliedschaft, dürfe es nicht geben, sondern jeweils eine Einzelfallprüfung. Das Verfahren müsse nach rechtsstaatlichen Verfahren abgewickelt werden.
Martin Kempe
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