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Wirtschaft bügelt Umwelt ab

■ Europa Carton bekommt übergroßes Grundstück zum Schleuderpreis

In der nächsten Sitzung der bremischen Bürgerschaft wird sich das Parlament mit einer Grundstücksvergabe der besonderen Art zu befassen haben. Gegen den Einspruch des Umweltressorts und des Stadtplanungsamtes und des Beirates Hemelingen will der Senat der Firma Europa Carton ein Grundstück von 3,4 Hektar verkaufen, eine Fläche im Gewerbegebiet Funkschneise , von der Kritiker der Entscheidung meinen, daß Europa Carton sie in 20 Jahren noch nicht vollständig benötigen wird.

Europa Carton ist derzeit noch im Hemelinger Osterort ansässig. 225 Beschäftigte produzieren dort Verpackungskartonagen. Der Umsatz des Faltschachtelwerkes belief sich 1989 auf 70 Millionen Mark. Die Verlegung des Werkes wird schon seit 1986 zwischen Wirtschaftssenator und dem Unternehmen verhandelt. Das Interesse ist gegenseitig. Der Senat will das Grundstück, da es als „Schlüsselgrundstück“ für den Bau des Hemelinger Tunnels gilt. Und Europa Carton möchte mehr Platz, um die über die Stadt verteilten Fertigwarenlager zu konzentrieren.

Für das Unternehmen ist der Umzug gleichzeitig noch ein fi

nanzielles Geschäft. Die Stadt zahlt für das bisherige 1,4 Hektar große Grundstück 7.95 Millionen Mark, 350.000 Mark mehr als der Verkehrswert. Das 3,4 Hektar große Grundstück wird Europakarton für 1,1 Millionen Mark verkauft, 600.000 Mark billiger als der Verkehrswert. Begründung: Die Firma verpflichte sich, 34 neue Arbeitsplätze zu schaffen. Obendrauf zahlt die Stadt zwei Millionen Mark, um die Straße Funkschneise zu verlängern.

Außerdem läßt sich der Senat von dem Unternehmen verkehrspolitisch kräftig unter Druck setzen. Europa Carton möchte den Vertrag mit der Stadt erst abschließen, wenn im Senat eine endgültige Entscheidung für den Daimler Tunnel erfolgt ist. Wörtlich heißt es in der vertraulichen Senatsvorlage: „Kommt es nicht zu einer solchen Beschlußfassung, bittet das Unternehmen, erneut über entsprechende Vertragsregelungen diskutieren zu können.“

Wie Europa Carton entsprechende Bitten vorzutragen pflegt, ist in der Senatsvorlage nachzulesen. Dort heißt es: „Als Alternative zu einem bremischen Standort liegen zwei aus ihrer (Europa

Carton, d.Red. ) Sicht attraktive Standortangebote der Gemeinden Oyten und Dreyhe-Weyhe vor.“ Diese Drohungen machte sich das Wirtschaftsressort in der Senatsvorlage zu eigen, um Alternativvorstellungen, abzuwehren. So hatte der Beirat Hemelingen wegen der katstrophalen Verkehrssituation in Hemelingen gefordert, das Unternehmen irgendwo anders in Bremen anzusiedeln. Dann, so die Senatsvorlage, würden „Teil -Sozialpläne“ fällig und das Unternehmen deswegen nach Niedersachsen gehen.

Unmweltressort und Planungsamt hatten wegen des Flächenfraßes gegen das Vorhaben opponiert, denn der neue Standort ist

zweieinhalb Mal so groß wie der alte. Argument der Kritiker: Der Wirtschaftssenator könne nicht auf der einen Seite über fehlende Gewerbeflächen lamentieren und dann zur Verfügung stehende Gelände nach Belieben an ein Unternehmen vergeben, daß eine so große Fläche gar nicht benötige. Und auch die naturschutzrechtlichen Bedenken, die das Umweltressort vorgetragen hatte, ließen den Senat kalt. Statt dessen setzte die Regierung auf das Motto: Mund zu und durch. Unter dem Punkt Öffentlichkeitsarbeit heißt es: „Die Vorlage ist bis zur Beratung der Stadtbürgerschaft nicht für eine Veröffentlichung geeignet.“

hbk

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