: Wem gehören die Stasi-Akten?
■ Daß Bonn und westdeutsche Dienste Zugriff auf die Stasi-Akten haben, wollen die Bürgerrechtler in der DDR nicht zulassen. DDR-Politiker schlossen sich dem Protest an und gestanden ein, daß sie beim Staatsvertrag nicht aufgepaßt haben.
Besetzung der Stasi-Zentrale
Die Besetzer der Ostberliner Stasi-Zentrale bekamen gestern die ersten Telegramme. „Finden Eure Aktion toll, stehen voll hinter Euch, haltet durch“, teilte die Grüne Partei Meiningen mit. Nach der ersten Nacht, die die zwei Dutzend Bürgerrechtler im ehemaligen Mielke-Ministerium verbracht hatten, regt sich in der DDR breiter Widerstand dagegen, daß der Bund die Stasi-Akten übernimmt.
In Erfurt begann das Bürgerkomitee eine Mahnwache vor einem ehemaligen Stasi-Gebäude. Doch die Besetzer bekommen Zuspruch von allen Seiten. Gestern vormittag besuchte sie der DSU-Vorsitzende Hansjoachim Walter und gestand ein, daß die Frage der Stasi-Akten „nicht mit dem gebotenen Ernst in die Verhandlungen um den Einigungsvertrag eingebracht worden“ wären. Ost-Berlins Innenstadtrat Krüger (SPD) kam ebenfalls, Ost-Berlins Bürgermeister Schwierzina (SPD) übermittelte seine Solidarität.
Die Fraktion Bündnis90/Grüne will heute im Parlament beantragen, daß die Behandlung des Einigungsvertrages ausgesetzt wird, bis sein Inhalt mit dem Stasidatengesetz der Volkskammer (siehe Dokumentation Seite 10) in Einklang gebracht ist. Das Gesetz sieht die dezentrale Verwaltung der Akten unter der Hoheit der künftigen DDR-Länder vor.
Noch vorgestern abend versprach Staatssekretär Günter Krause (CDU/DA), Chefunterhändler bei den Vertragsverhandlungen mit Bonn, der Präambel des Einigungsvertrages einen Briefwechsel zwischen den beiden Innenministern Diestel und Schäuble beizulegen. In der Ministerpost sollen Aussagen zum künftigen Umgang mit den Spitzel-Akten näher erläutert werden. An dem Gespräch mit den Besetzern waren auch SPD-Chef Wolfgang Thierse und der PDS-Vorsitzende Gregor Gysi beteiligt. Ralf Hirsch, enger Mitarbeiter des Westberliner Bürgermeisters Momper und ehemaliger DDR-Bürgerrechtler, spendete den Besetzern 10.000 D-Mark. Ihm mußte der Springer-Konzern 50.000 D-Mark Schmerzensgeld wegen des falschen Verdachts der Stasi -Mitarbeit bezahlen.
Während die Diskussion um die Stasi-Erbschaft erneut begonnen hat, harren die Besetzer, unter ihnen Prominente wie Rainer Schult und Bärbel Bohley vom Neuen Forum sowie Katja Havemann, Witwe des Bürgerrechtlers Robert Havemann, nur wenige Wände von den umstrittenden Aktenbergen entfernt aus. Sie wollen die okkupierten Büros, in denen sich leere Schreibtische und sinnlos gewordene Stahlschränke stapeln, erst verlassen, wenn ihre Forderungen erfüllt sind. Bohley: „Ich will meine Akte.“ Und das Volkskammergesetz müsse Bestandteil des Einigungsvertrages werden. Seit der Stürmung der Stasi-Zentrale am 15. Januar hatten nur noch 70 Archivmitarbeiter und die Operative Abteilung Zugang zu den Dokumenten. Ganz wenigen Politikern, die sich gegen die Vorwürfe einer Stasi-Mitarbeit zur Wehr setzen mußten, wurde die Einsicht in die gesamten Papiere gewährt. Allen übrigen DDR-Bürgern blieben die geheimen Archive verschlossen.
Das DDR-Innenministerium ist zwar „für eine kompromißlose Vergangenheitsbewältigung“, doch gestern stellte Diestel Strafanzeige gegen die unwillkommenen Bürgerrechtler - wegen Hausfriedensbruch.
Dirk Wildt
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