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Heute über die Alpen...

Mal eben zum Surfen an den Gardasee? Töpfer- und Sprachkurs in der Toskana? Schreibtische nach Milano transportieren? Solange keine Inntalbrücken einstürzen, ist das alles kein Problem – das heißt für die Fahrenden; den Inntalbewohnern hingegen geht der Verkehr sozusagen durch die Wohnstuben.

Der Alpentransit als ökologisches, soziales, medizinisches und Verkehrsproblem war Thema einer Veranstaltung, die das „Öko-Institut Südtirol“ (Bolzano/Bozen) im März ausrichtete. Transit . Das Drama der Mobilität ist der Sammelband der Tagung und beschäftigt sich mit dem Problem, das die Inntalbewohner mittlerweile im Wortsinn auf die Barrikaden treibt.

Daß der Straßenverkehr die Eisenbahn verdrängt, wird nirgends so deutlich wie im hochempfindlichen Ökosystem der Alpen. Die Schweiz, Traumland aller Bahnfans, hat bis heute dem LKW-Verkehr einen Riegel in Form von Nachtfahrverboten, Gewichtsgrenzen etc. vorgeschoben. Österreich dagegen baute mit der Brenner-Autobahn der Bahn einen unschlagbaren Konkurrenten: Bereits im Jahr der Eröffnung der Autobahn (1972) wurden schlagartig mehr Güter auf der Straße als auf der Schiene transportiert. So schnell geht das.

Die Alpen in der Klemme. Daß der „Verkehr, der (...) ehemals angepaßter Teil der Nutzung des Raumes durch den Menschen war, heute zu einem von Fremdeinflüssen geprägten, zerstörerischen Krebs geworden ist“, ist eher ein allgemeines denn ein spezielles Alpenproblem. Das Spezifische der Alpenregion ist, daß dieser (Auto-) Verkehr in einem hochsensiblen Raum stattfindet, dessen „ökologische Stabilität an die kulturell-soziale Stabilität gebunden“ ist.

Insbesondere die Einrichtung des Europäischen Binnenmarktes wird zu einer weiteren Zunahme des Verkehrs auch über die Alpen hinweg führen. Den Autoren ist das einige Gedanken zum Thema Güterverkehr wert.

Der Aspekt Tourismus hingegen bleibt in allen Beiträgen merkwürdig unterbelichtet. Das ist eigentlich erstaunlich, denn die 110-Kilometer-Staus werden nicht durch LKWs, sondern durch reisefreudige Touristen verursacht. Und die haben noch mal kräftig Nachschub durch die Autofahrer aus Osteuropa bekommen, deren erklärtes Reiseziel erst mal Italien ist. Dennoch, alles in allem: Das Buch ist eine gute Lektüre für den nächsten Stau im Inntal.

Ergänzend gibt es noch einen kleinen Reader vom Tagungsveranstalter, der sich mehr mit den lokalen/regionalen Problemen des Verkehrs beschäftigt. Cletus Ossin

P.C. Mayer-Tasch u.a. (Hrsg.): Transit – Das Drama der modernen Mobilität. Schweizer Verlagshaus, Zürich 1990, 212 S., 28 DM

Ökoinstitut Südtirol / Alto Adige (Hrsg.): Wege einer neuen Verkehrspolitik. Textsammlung zur internationalen Tagung. Bolzano/ Bozen 1990, 36 S., 10.000 Lire.

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