: Tödliche Täuschung
■ US-Kernforscher Jay Goulds Forschungen in Bremen: Radioaktive Niedrigstrahlung weltweit unterschätzt
Einer der ersten, die sich mit den Auswirkungen von „Niedrigstrahlen“ beschäftigten, war der sowjetische Kernphysiker Sacharow. Bereits in den Fünfziger Jahren versuchte er, seine Regierung und die Weltöffentlichkeit aufzurütteln. Bei Forschungen zur „Niedrigstrahlenbelastung“ durch überirdische Atomtests, kam er daMals zu dem Ergebnis, daß weltweit etwa 12 Millionen Menschen mehr sterben werden als unter gewöhnlichen Bedingungen.
Jay Gold, Direktor des gemeinnützigen New Yorker Instituts für „Strahlung und Gesundheit“, verfügt heute über noch erschreckendere Zahlen. Auswirkungen von Atombombenversuchen, Störungen und Unfälle in Atomkraftwerken aber auch Radioaktivität, die beim norMalen,
„sicheren“ Betrieb von AKW's austritt, hat bereits zum Tod von etwa 100 Millionen Menschen insgesamt geführt. Ziemlich sicher ist seiner Meinung nach außerdem, daß ein direkter Zusammenhang zwischen erhöhter Radioaktivität in der Erdatmosphäre und dem Auftauchen der Immunkrankheit AIDS besteht.
Dimension eines
3. Weltkrieges
„Vorläufig gibt es zwar nur in einigen Ländern Statistiken über den Zusammenhang von Radioaktivität und Sterblichkeit. Doch aufgrund meiner Untersuchungen in den USA, die sich mit Forschungen von Schweizer und Baden-Württemberger Wissenschaftlern decken, befürchte ich, daß die Folgen von radioaktiver Niedrigstrahlung Dimensionen
eines dritten Weltkrieges haben“, sagte Gould gestern vor Journalisten.
Der Kernphysiker, zur Zeit Gast der Bremer Universität, wertet seit mehr als fünf Jahren offizielle Datenbanken und Informationen über Emissionen von AKW's in den USA aus. Bei der Gegenüberstellung dieser Fakten mit dem monatlichen Report der Sterberate, entkräftete er, was bis dahin in der Forschung als sicher galt. Man hatte angenommen, daß z.B. ein Gebiet, das einer zu 50 Prozent geringeren radioaktiven Strahlung ausgesetzt war als ein anderes, auch eine dementsprechend niedrigere Sterblichkeitszunahme hätte. „Niedrigstrahlung“, stellte Gould fest - inzwischen auch in dem Buch „Tödliche Täuschung“ - sind kaum weniger gefährlich als hohe Strahlendosen.
Ein Beispiel aus dem Tschernolbyl-Jahr 1986: Im Juni 1986 war die radioaktive Belastung in den USA 1000 Mal geringer als in Baden-Württemberg, der Anstieg der Säuglingssterblichkeit jedoch nur sieben Mal geringer. (USA 10
Prozent/ Baden-Würtemberg 70 Prozent).
Auch aus der Schweiz, die Gould kürzlich zusammen mit seinem Bremer Kollegen Jens Scheer besuchte, weiß er ähnlich Beunruhigendes zu berichten. Noch heute sind dort die Strontiumwerte in Milchprodukten überdurchschnittlich hoch. Zurückzuführen sei die Verseuchung der Milch in erster Linie
auf die überirdischen Atomtests der UdSSR in den Jahren 1961 -62, aber auch auf Emissionen verschiedener Reaktor -Unfälle in Frankreich. Bis 1980 sei der Strontiumgehalt in der Schweizer Milch ständig gestiegen. Dann hätten die Behörden schließlich auf die Veröffentlichung der Werte verzichtet, „wahrscheinschlich aus wirtschaftlichen Gründen“. Immer
hin sei die Schweiz ein wichtiges Export-Land.
Gould weiter: „Hier gibt es inzwischen ähnlich wie in den USA ein in der Weltgeschichte einmaliges Phänomen. Seit 1975 geht die Sterblichkeitsrate nach oben. Immer mehr Menschen sterben im gesundheitlich besten Alter, d.h. zwischen 25 und 35 Jahren.“
Auch dem AIDS-Virus glaubt Gould auf die Schliche gekommen zu sein. Diese Krankheit, deren Ursprung die regenreichen Gebiete Afrikas sind, ist vermutlich durch radioaktive Mutationen bei Grünen Affen übertragen worden. In diesen Gegenden sind durch die häufigen Regengüsse immer wieder radioaktive Wolken auf das Land niedergegangen. „Man hat festgestellt, daß Kinder in Westafrika sehr hohe Strontiumwerte in ihrem Körper aufweisen, wodurch ihr Immunsystem, so ergaben Forschungen, enorm geschwächt ist. In Uganda zum Beispiel, nicht weit entfernt vom Viktoria-See gibt es Dörfer, in denen die ganze Elterngeneration an AIDS gestorben ist.“
Birgit Ziegenhagen
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