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Mega-Park der Superlative

■ Ein Besuch in West Edmonton Mall, dem weltgrößten Einkaufs- und Vergnügungs-Center

Ein Besuch in West Edmonton Mall, dem weltgrößten

Einkaufs- und

Vergnügungs

Center

VON BERND MÜLLENDER

„Hi“, klingt scheppernd eine Lautsprecherstimme an unser Ohr, „willkommen in Nr.3 unserer Flotte. Ich bin Captain Mary.“ Die U-Boot-Kommandantin greift nach diversen Hebeln und Schaltern, es zischt, dröhnt und knarzt. Zweifelsfrei sinken wir hinab und fahren alsbald an Korallengärten vorbei, an einer schillernden regenbogenfarbenen Fischwelt, an Stachelrochen und an Haien. Die Passagiere drücken sich die Nasen platt: „Wonderful, so nice, unbelievable...“ Die Reise wird sogar abenteuerlich, als unsere etwa 14jährige Miss Käptn Probleme mit der Hydraulik bekommt und wir eine halbe Stunde länger unten bleiben als gewollt. Doch so richtig wollen Panik und Angst nicht aufkommen, das tauchende Gefährt bewegt sich schließlich computergesteuert auf Schienen dahin und nicht etwa unter hoher See. Dies U -Boot, also mehr eine gewässerte U-Bahn, ist eine der künstlichen Attraktionen der West Edmonton Mall, dem größten Einkaufs- und Vergnügungs-Center der Welt im Nordwesten Kanadas.

Die Mall ist ein gigantischer Mega-Park der Superlative. In nackten Zahlen klingt das so: gebaut, nach oben mehrstöckig, auf einer Fläche von 80 Fußballplätzen. Anzahl der Geschäfte: 800, dazu 19 Kinos, 110 Kneipen und Restaurants, ein integrierter Hotelkomplex der Luxusklasse mit 400 Betten, Parkplätze: 20.000, Angestellte: 15.000, Umsätze: in unbekannter Milliardenhöhe. Zum Erlebnis-Center wird die Mall aber erst durch ihre Unterhaltungsattraktionen nebenbei: Golfplatz, Riesenschwimmbad mit 22 Rutschen, dazu ein Eisstadion, wo alle 14 Tage die Edmonton Oilers trainieren. 24 Karussels aller Art sausen da herum und eine Achterbahn, 14 Stockwerke hoch, lehrt das rechte Erlebnisgruseln. Alles zusammen unter einem Dach, und damit es auch richtig glitzert und lockt, brauchen alle Etablissements zusammen die Energie von stolzen 330.000 Glühbirnen und Leuchtstoffröhren.

Weil alles so schön groß und unübersichtlich ist, gibt es Führungen durch die Einkaufspaläste, Action-Ecken und Animierlokalitäten. Wir haben uns Kate angeschlossen. Ihre Erklärungen beginnen stehts mit „We have“ und enden mit langen, blumenreichen Hinweisen, welche Grandiositäten hier versammelt sind, und dort und, schau mal, dort hinten erst. Könnte sie es sich nicht einfacher machen, und nur das aufzählen, was es in dieser famosen West Edmonton Mall nicht gibt? Da muß sie lachen, und ihr fallen tatsächlich drei Dinge ein. Surfen im Bereich des gigantischen Hallenschwimmkomplexes sei unglücklicherweise nicht erlaubt, desweiteren fehlten in der originalgetreuen Imitation der Bourbon Street der Originaldreck wie im wirklichen New Orleans und drittens gebe es hier, anders als in den States unten, da ist sie ganz sicher, keine Taschendiebe.

Alles sieht aus wie abgeleckt, und das muß auch so sein: wenn schon schöner Schein, denn richtig. Konsum total, ohne Kompromiß. Wo immer die ArchitektInnen und ManagerInnen auf natürliche Materialien verzichten konnten, haben sie dies mit bewundernswerter Konsequenz getan. Die Mall - ein synthetisches Paradies, in Plastik gegossene Fantasie, und deswegen so spannend: weil den Menschen nichts kitschig, gigantisch, konsumglitternd genug sein kann, als daß sie sich nicht dafür begeisterten. 60.000 gehen hier täglich shoppen und erleben. Jede dritte Mark an Konsum in Edmonton wird hier umgesetzt. EinzelhändlerInnen, die sich nicht gegen teure Miete einmieten konnten, müssen draußen ums Überleben kämpfen. Viele sind schon pleite gegangen.

Alles ist Schein, bis hin zu den hübschen Fischen vor dem U -Boot-Fenster: zum Teil seien das, verrät später ein Werbeprospekt, „künstlich animierte Kreaturen“. Dazu paßt der Wal, in Lebensgröße, klar, der als monumentales Kunstobjekt in einer der endlosen Shopping-Gänge steinern daliegt. Lange nach der Eröffnung der Mall vor fünf Jahren fiel jemandem auf, daß sich ein Wal gar nicht krümmen kann wie hier dargestellt. Peinlich, aber Kate stellt das jetzt anders da: Es handle sich um zwei Wale, Kopf von dem einem, Flosse von einem anderen. Neben Nachbildungen von Kolumbus‘ Schiff „Santa Maria“, chinesischen Pagoden, „Originalkopien“ der Kronjuwelen diverser Dynastien, und akustisch allgegenwärtigen Springbrunnen und rauschenden Wasserfontänen haben die Freizeitmacher schier überall Tiergehege, Volieren und Aquarien plaziert: Zwischen Fast -food-Freßhalle, Edelrestaurant, einer Kirche gar, dem an Kunststoffstuck reichen, dem Moskauer Kaufhaus „Gum“ nachempfundenen „Europa Boulevard“, all den Supermärkten und Warenhäusern tummeln sich: Gefiedertes aus allen Kontinenten, der immer attraktiven Piranha, Jaguar und Löwe, Affen auch und in einem kleinen Bassin vier Delphine. Delphine werden normalerweise bis zu 35 Jahre alt, nicht so die Edmontoner Spezies, denn, prophezeit das Management: „Wir denken, daß unsere länger leben werden, da sie sich in einer geschützten Umgebung befinden.“

Wohlgeschützt ist der Ermüdete nach kilometerlangen Mall -Fußmärschen im edlen „Fantasyland„-Hotel. Dessen Luxussuiten für 400 Mark die Nacht sind ein Höhepunkt an Imitations-Konequenz. Man nächtigt in Motivzimmern: arabisch oder römisch, a la Hollywood (mit blinkenden Lämpchen im Teppich), in einer viktorianischen Kutsche, auf der Ladefläche eines Truck mit einem Plastikpolizisten daneben, oder, als absoluter Geheimtip, auf dem Dach der Mall selbst. Dorthin wird im Winter, wenn es in Edmonton oft wochenlang bis zu minus 30 Grad Celsius kalt wird, eine Schar Eskimos eingeflogen, die dann dem Geschäftsreisenden oder den reichen Honeymoonlern ein Original-Iglu bauen. Weil zu warm, konnte der Berichterstatter diese nächtliche Kooperation der Kulturen nicht erproben und mußte sich stattdessen in der Nachbildung einer polynesischen Landschaft betten lassen, mit wassergefüllter Liegestatt, typischen Plastikpalmenhainen und einer riesigen Whirlpool-Badewanne, die in einen südseeischen Wasserfall hineinkomponiert ist.

Durchaus beeindruckend ist auch das Perpetuum mobile, das da, neben Eingang Nr 170, etwa 10 Meter hoch und 10 Meter im Umfang, auf dem imitierten Marmorparkett in Einkaufsebene 2 herumsteht. Ein riesiges Labyrinth, über das Dutzende von Kugeln laufen, über Tonleitern, Treppen und Wandelgängen, Kugeln, die gegen klingelnde Pendel prallen, Glöckchen und Hämmerchen schlagen, Trompeten auslösen, und wohltönend durch ineinander verschachtelte Kisten hopsen, daß es eine hübsche Melodie wird aus Klacken, Scheppern, Klingeln, Ploppen und Klocken. Alles so schön und harmonisch, und so leicht, wie die Menschen sich fühlen sollen, die hier durch das Labyrinth der Mall laufen und kaufen und kaufen...

Wie schade für die konsumbeflissenen und vergnügungslustigen Menschen des Ruhrgebietes, daß ihnen das entgeht. In Oberhausen sollte schließlich, geplant von der gleichen Edmontoner „Triple Five Corporation“, eine ähnliche Mall gebaut werden - mit einem wesentlichen Unterschied nur: Sie sollte nochmal doppelt so groß werden. Weil die Forderungen der Kanadier, etwa 35 Jahre Steuerbefreiung und eigener Transrapid-Anschluß, zu unverschämt waren, haben Landesregierung und die anfänglich euphorische Stadtverwaltung das Vorhaben abgeblasen. Jetzt ist Holland im Gespräch.

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