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Kein Staat zu machen

■ Liberias Bürgerkriegsparteien kämpfen um Symbole einer Macht, die es nicht mehr gibt KOMMENTARE

Im tropischen Liberia, an der westafrikanischen Atlantikküste, ist ein ganzes Land auf der Flucht. 500.000 Menschen — ein Viertel der Bevölkerung — drängen sich innerhalb und außerhalb der Staatsgrenzen in improvisierten Buschlagern, Hunger grassiert, der Ausbruch von Epidemien ist nur eine Frage der Zeit. Die Hauptstadt Monrovia ist weitgehend entvölkert; vier verschiedene Armeen kämpfen um die Geisterstadt.

Liberias Präsident Samuel Doe holte sich 1980 die Macht, indem er seinen Vorgänger im Schlaf ermordete. Nun könnte er sie auf eine ähnlich grausame Weise verlieren: Als Gefangener der brutalsten Bürgerkriegsarmee — der „Unabhängigen Patriotischen Nationalfront“ unter Prince Johnson — ist er nur noch eine Ware, die man zu einem hohen Preis verkaufen oder, falls sich dies nicht lohnt, beseitigen kann. Doe gehört einem Volk an, das schon im 16. Jahrhundert den Portugiesen Angehörige anderer Völker als Sklaven verkaufte; Johnson ist Mitglied eines Volkes, dem das unabhängige Liberia nie etwas Besseres als die Zwangsarbeit auf Kautschukplantagen gebracht hat. Schwer zu sagen, wer hier das Recht verteidigt, wer die Menschenrechte mehr verletzt — die Begriffe gehen an der blutigen Realität des Urwaldstaates vorbei.

Die Republik Liberia wurde im 19. Jahrhundert von den Vereinigten Staaten gegründet, um überzählige Sklaven abzuschieben. Als Staat war sie nie mehr als eine Dependence der USA in Afrika, ein von Evangelisten und Freimaurer-Bünden beherrschter Kolonie-Ersatz, Standort für Briefkastenfirmen, CIA-Lauschstationen und Drogengeldwäscher. Die Machtübernahme durch Doe, einen einheimischen Afrikaner, störte diese Geschäfte nur wenig; die Instrumentalisierung der Republik zur Parteinahme in innerafrikanischen ethnischen Konflikten, wie sie Doe praktiziert hat, bringt das koloniale Gefüge jedoch ernstlich in Gefahr. Denn die betroffenen Völker — beispielsweise die Gio, denen Prince Johnson angehört, und die Mandingo, die Doe unterstützen — leben nicht nur in Liberia, sondern auch in Guinea, in der Elfenbeinküste, in Sierra Leone. So betrifft der liberianische Bürgerkrieg ganz Westafrika.

Daher die Intervention der „Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft“, die mit 3.000 Soldaten versucht, die aus dem Ruder gelaufene Doe-Tyrannei durch eine funktionsfähige Regierung zu ersetzen. Ihr Bemühen gestaltet sich jedoch schwieriger als erwartet. Als Staat existiert die Republik Liberia faktisch nur noch in ihrer internationalen Anerkennung — ein Staatsvolk gibt es nicht. Es gibt verschiedene Völker, die jedes für sich ihre Autonomie verteidigen, notfalls auf Kosten aller anderen. Gegenwärtig versucht jede der Kampfparteien, sich zur alleinigen Regierung zu erklären — das Morden hört damit nicht auf. In den 100.000 Quadratkilometern, denen die USA einen lateinischen Namen überstülpten, ist die Gründung eines Staates, der diesen Namen verdient, nicht in Sicht. Dominic Johnson

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