Zahlungsmoral und Finanzlöcher

Berlin (taz) — Noch im August kam die DDR-Sozialversicherung (SV) wegen eines von Bonner Experten für Ende 1990 prognostizierten Sieben- Milliarden-Defizits in die Schlagzeilen. Doch die Geschäftsführer von Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung versicherten am Montag nachmittag der Presse, die SV sei trotz einschneidenden Strukturwandels funktionsfähig geblieben, die Beitragszahlungen im September besser in Fluß geraten als in den Vormonaten. Der Zahlungsverzug begründe sich auf Unsicherheit bei Arbeitgebern und Finanzämtern bei der Beitragsberechnung. Deshalb werden vom 18. bis 21. September 500 Versicherungsangestellte aus West und Ost in einer „konzertierten Beratungs- und Informationsaktion“ in tatkräftiger Unterstützung der Finanzämter auch dieses Hindernis überwinden. Anders gesagt: den bisherigen Beitragsschuldnern wird die Rechnung aufgemacht und an deren Zahlungsmoral appelliert. Ein weiteres Plus der Sozial- und Arbeitslosenversicherung: Sie biete Tausende Arbeitsplätze auch für Menschen im kritischen Alter. Allein in der für die Arbeitslosenversicherung zuständigen Arbeitsverwaltung, die in 38 Arbeitsämtern und ihren 161 Nebenstellen bereits 10.000 Mitarbeiter beschäftige, wären weitere 6.000 Stellen zu besetzen.

Die zuständige Abteilungsleiterin im Ministerium für Arbeit und Soziales Altmann dankte den SV-Mitarbeitern für „tagtäglich hohe Leistungen“ und ausgewählten Journalisten für Presseveröffentlichungen, die „die Bevölkerung beruhigt haben“. War nach Ansicht der Veranstalter damit das wesentliche gesagt, waren die anwesenden Journalisten doch sehr erstaunt, wie schnell sich die Wogen über den Löchern in der Sozialkasse geglättet haben sollen. Erst auf hartnäckiges Nachfragen gab Versicherungsdirektor Grunau in „unseriöser Schätzung“ ein zum Jahresende zu erwartendes Defizit von 3,4 Milliarden in der Krankenkasse und von 2,2 Milliarden bei den Renten zu Protokoll, das durch Kredite und staatliche Zuschüsse gestopft werden soll.

Fakt ist aber, daß die SV auch bei vollständigem Beitragseinzug nicht in der Lage ist, ein ähnlich attraktives Leistungsangebot wie in der BRD zu finanzieren. Die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt ist ungewiß. Von einer Million Kurzarbeitern sind zum Beispiel für die Rentenversicherung mit 117 Millionen DM nur rund die Hälfte der Beiträge von Vollbeschäftigten zu erhalten.

Bei der Krankenkasse ist die Decke besonders dünn. Zwar werden seit dem 1. Juli nach westdeutschem Vorbild Beitragssätze von 12,8 Prozent abgezogen, aber von einem Einkommen, das im Durchschnitt nur 45 Prozent des Westlohns ausmacht. Die SV sieht nun ihre Aufgabe darin, den Leistungserbringern ein „vernünftiges“ Preis-Leistungs-Verhältnis abzuringen. ig