: Keine unnötige Dramatisierung
■ Chemieprofessor Wöhrle diskutierte mit Bürgern über Giftgas
Das hatte das Bremer Friedensforum schon lange nicht mehr erlebt: Etwa 200 potentielle DiskutantInnen drängten gestern gegen 20 Uhr in die Villa Ichon. Angesagt war eine Informationsveranstaltung zum Thema „Alte Chemiewaffen raus, neue rein?“ Doch die Gemüter der meisten Anwesenden bewegten eher aktuelle Fragen zum bevorstehenden Giftgastransport. Wegen Verständigungsproblemen zogen die TeilnehmerInnen kurzerhand ins Lagerhaus Schildstraße. „Eigentlich hätte man den Umzug gleich mit'ner kleinen Demo verbinden können“, meinte eine Frau auf dem Weg ins Cafe.
Erster Tagesordnungspunkt: Sind die recht hektischen Kinder- Verschickungsaktionen gerechtfertigt, und was können die Zu- Haus-Gebliebenen tun?
„Also mir scheint, daß nach der anfänglichen Verharmlosung von Seiten des Innensenators jetzt das genaue Gegenteil passiert, nämlich eine Überdramatisierung“, sagte Dieter Wöhrle, Chemieprofessor an der Bremer Universität. Durch ein paar anschauliche Demonstrationen zur Funktionsweise und Wirkung von Chemiewaffen versuchte er mehr Realität in die Diskussion zu bringen.
Zunächst einmal müsse man die Größenordnung des Transportes relativieren. 400 Tonnen chemische Kampfstoffe seien gemessen an den Gesamtvorräten von UdSSR und USA (82.000), wenn auch nicht ungefährlich, so doch ein vergleichsweise kleiner Anteil (0,5%). Um außerdem die Gefahr realistisch einschätzen zu können, müsse man die spezielle Wirkungsweise von Chemiewaffen kennen.
Das Besondere: Die bei einer Explosion freiwerdenen Giftgase können nur für ungeschützte Personen gefährlich werden. Befindet man sich jedoch in einem geschlossenen Gebäude, ist dies schon ein fast 100prozentiger Schutz (siehe Kasten oben). Günstig ist außerdem der schnelle Abbau der gefährlichen Verbindungen. Bei trockenem Wetter dauert die Zersetzung 6-12 Stunden, bei Regen bis zu drei Minuten.
Beruhigung wollte sich dennoch nicht einstellen im Cafe Lagerhaus. „Bei uns in der Schule herrscht große Unsicherheit zwischen der Lehrerschaft“, berichtet eine Lehrerin, die gerade frisch von einer Kollegenversammlung kommt. „Man hat uns viel viel zu wenig informiert.“ „Kann man die Gase eigentlich riechen?“, will eine junge Frau wissen. Man kann nicht. bz
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