: Bathismus — Was aus einer Idee wurde
Vom syrisch-irakischen Konflikt, der Golfkrise und der Bath-Partei/ Aus „Einheit, Freiheit, Sozialismus“ wurde „Zwietracht, Folter, Korruption“ ■ Von Jürgen Loer
Besser hätte der Gegensatz zwischen den Regimen und ihren Untertanen kaum illustriert werden können: Während die überwiegende Anzahl der arabischen Herrschercliquen Iraks Invasion in Kuwait verurteilte, demonstrierten Hunderttausende auf den Straßen ihre Solidarität mit Saddam Hussein. In den letzten Augusttagen erfaßte diese Sympathiewelle nun auch Syrien; syrisches Militär — man spricht von 50.000 Soldaten — wurde in den Nordosten des Landes in die Nähe der irakischen Grenze verlegt, um gegen pro-irakische Demonstranten vorzugehen. Angaben über die Zahl der dabei getöteten Menschen schwanken zwischen 20 und 300.
Das massive Vorgehen ist nicht ohne Grund. Syrien und der Irak sind seit langem aufs heftigste miteinander verfeindet. Die Brisanz dieser Erzfeindschaft und damit auch der pro-irakischen Sympathiekundgebungen in Syrien besteht darin, daß sowohl Syriens Präsident Hafiz al Assad als auch Iraks Saddam Hussein im Namen ein und derselben Partei und damit auch Ideologie zu herrschen vorgeben: der „Arabischen Sozialistischen Bath“ (= Wiedererweckungs)-Partei.
Mit der Vision, die verblaßte Größe der arabischen Nation wiederaufleben zu lassen, schickten sich in den 40er Jahren die beiden Damaszener Intellektuellen Michel Aflaq und Salah al-Din al-Bitar an, eine Partei zu gründen. 1947 war es dann soweit: In einem kleinen Damaszener Cafe versammelte sich eine Handvoll Gleichgesinnter und hob die Partei aus der Taufe, die mittlerweile in Syrien und dem Irak seit über zwei Jahrzehnten an der Macht ist.
„Einheit, Freiheit, Sozialismus“ ist bis heute ihr Slogan. Die Reihenfolge der Schlagworte ist nicht zufällig. Oberstes Ziel ist die Überwindung der als künstlich empfundenen Spaltung der arabischen Welt in Einzelstaaten und die Vereinigung der arabischen Nation, der „umma“, in einen einzigen Staat, der „frei“ vom Einfluß des Imperialismus sein solle sowie sozialistisch. Darunter war eine recht verschwommene Vorstellung von Gerechtigkeit zu verstehen.
Gegen den Nasserismus keine Chance
Von Anfang an aber stand die Partei im Schatten einer anderen pan-arabischen Ideologie, dem Nasserismus. Obwohl Nasser, von 1954-1970 Präsident Ägyptens, seine Ideen zur arabischen Einheit erst später entwickelte, wurde der Nasserismus in den 50er und 60er Jahren zu einer begeistert aufgenommenen Massenideologie in der gesamten arabischen Welt. Das ist dem Bathismus bis heute nie gelungen. Zwar schaffte es die Partei bald nach ihrer Gründung, sich in vielen arabischen Staaten zu konstituieren. Außerhalb Syriens und des Irak blieb sie immer unbedeutende Splitterpartei. Die Gründe dafür sind vielfältig: Weder besaß Michel Aflaq auch nur annähernd das Charisma Nassers, noch hatte die als kleine Oppositionspartei entstandene und in den fünfziger Jahren meist verbotene Bath-Partei die Möglichkeit, über Intellektuellenzirkel hinaus ihre Ideen zu verbreiten. Auch die — im Gegensatz zum Nasserismus — ausdrücklich säkularisierte Ausrichtung des Bathismus, der die Trennung von Politik und Religion propagiert und damit im Widerspruch zum Islam steht, stieß bei vielen Muslimen auf Ablehnung. So ist es nicht verwunderlich, daß die Bath-Partei weder in Syrien noch im Irak auf den Schultern des Volkes an die Macht gehievt wurde, sondern sich jeweils an die Staatsspitze putschte.
Mit der gleichzeitigen Herrschaft der Bath-Partei in Syrien und dem Irak war man der arabischen Einheit jedoch keineswegs näher gekommen: Zwar vertrug sich das syrische Regime noch halbwegs mit dem 1963 in Bagdad an die Macht gelangten, das aber bereits nach neun Monaten wieder gestürzt wurde. Lange vor dem zweiten Putsch der irakischen Bathisten 1968 hatte sich jedoch die Partei bereits in zwei tief verfeindete Lager gespalten, die sich herzlich haßten. Ironischerweise geht diese Spaltung auf den bis heute einzigen nennenswerten Einigungsversuch zweier arabischer Staaten zurück. Als sich Ägypten und Syrien 1958 zur Vereinigten Arabischen Republik zusammenschlossen, löste die gesamtarabische Führung der Bath-Partei den syrischen Parteizweig auf Drängen Nassers auf. Viele jüngere und links eingestellte Parteimitglieder sahen darin einen Verrat durch die eher konservative Parteispitze um Michel Aflaq. Einige der Opponnenten gründeten daraufhin in Kairo, wo sie als Offiziere stationiert waren, ein geheimes bathistisches „Militärkomitee“, zu dessen fünf Initiatoren ein bis dato unbekannter Offizier namens Hafiz al- Assad gehörte. 1963, zwei Jahre nach dem Scheitern des ägyptisch-syrischen Vereinigungsprojektes, putschte sich diese Gruppe in Syrien an die Macht und begründete die seitdem ununterbrochene Herrschaft der Bath-Partei in Syrien.
Das Militärkomitee, das kein offizielles Gremium war und dessen Existenz lange Zeit geleugnet wurde, beherrschte zu diesem Zeitpunkt bereits die gesamte syrische Partei. Die gesamtarabische Führung spielte fortan nur noch eine untergeordnete Rolle und wurde 1966 nach blutigen Machtkämpfen innerhalb des Militärkomitees für abgesetzt erklärt. Die Führungsmitglieder wurden verhaftet oder flüchteten ins Ausland. Aflaq selbst starb letztes Jahr in Bagdad. Bis heute ist er in Syrien eine „Unperson“. Sein Kampfgefährte und Mitbegründer der Partei, al-Bitar, war 1980 in Paris vom syrischen Geheimdienst ermordet worden.
Die von den syrischen Genossen geschaßte „alte Garde“ besaß aber noch eine große Anhängerschaft im irakischen Zweig der Partei, in dem Aflaq und Bitar ihre Position sogar noch stärken konnten. Geschickt hatten sie den Sturz des ersten irakischen Bath-Regimes 1963 für sich nutzen können: Sie beauftragten ihr genehme Mitglieder — darunter einen gewissen Saddam Hussein — mit der Führung der neuformierten irakischen Partei. Als sie im Juli 1968 durch einen Putsch die Macht zurückerobern konnte, war man in Damaskus alles andere als begeistert.
Ideologische Differenzen spielten in dem folgenden Konflikt, der quasi über Nacht von einem innerparteilichen zu einem zwischenstaatlichen mutierte, aber kaum noch eine Rolle. Und auch die weitere Entwicklung des syrisch-irakischen Konflikts hat so gut wie nichts mehr mit Ideologie zu tun. Damaskus und Bagdad stritten sich in der Folgezeit heftig um eher banale Angelegenheiten wie z.B. um die Transitzölle für die irakische Ölpipeline durch Syrien. Selbst Iraks Unterstützung bei Assads Staatsstreich im November 1970 bewirkte nur eine vorübergehende Entspannung. Hatte das irakische Regime gehofft, in Assad einen Verbündeten gefunden zu haben, so mußte es sich bald eines besseren belehren lassen: Die alten Feindschaft brach bald wieder aus.
Feindschaft bis aufs Blut
Nach einer vorübergehenden Annäherung 1978/79, die sogar Vereinigungspläne der beiden Länder reifen ließ, verschärfte sich der Konflikt dann zunehmend. War man bisher bemüht gewesen, dem jeweiligen Rivalen eins auszuwischen, so hatte man es von nun an drauf abgesehen, ihn möglichst vom Sockel zu stürzen. Maxime: „Der Feind meines Feindes ist mein Freund.“
Der Irak war damit zu Beginn der 80er Jahre auch beinahe erfolgreich, als mit seiner Hilfe die islamistische Opposition in Syrien einen blutigen Bürgerkrieg entfachte und das Assad- Regime ins Wanken gerieg. Umgekehrt stellte sich Syrien während des Golfkrieges auf die Seite des Iran. Der syrisch-irakische Konflikt wird sogar im Libanon ausgefochten, wo der Irak den christlichen General Aoun gegen die syrischen Besatzer unterstützt.
Spätestens seit Assad 1970 und Hussein 1978 in ihren Ländern die Führung in Partei und Staat übernommen haben, dient die Bath-Partei in beiden Ländern nur noch zur Absegnung der Politik der jeweiligen Präsidenten und ihrer Cliquen. Ihre Geschichte zeigt, daß die hehren Ansprüche von einst zur reinen Makulatur verkommen sind. Je mächtiger die Partei wurde, desto blutiger wurden die Konflikte ausgetragen: Bei der Verfolgung politischer Gegner — inner- wie außerhalb der Partei — wurde weder vor Mord noch vor Geiselnahme zurückgeschreckt. Saddam Hussein machte sich sogar des Völkermordes an den Kurden schuldig. Mit der Parole „Einheit, Freiheit, Sozialismus“ trat die Bath-Partei einst an. Jetzt herrschen „Zwietracht, Folter, Korruption“.
Die momentane Begeisterung der Araber gilt denn auch Saddam Husseins Politik der Stärke gegenüber den USA und nicht dem Bathismus oder der Partei. Selbst als profane Rechtfertigungsideologie scheint der Bathismus nicht mehr zu taugen: Der Irak tritt in der Golfkrise nicht mehr, wie noch während des Krieges mit Iran, als Verteidiger der arabischen „umma“ auf. Jetzt gibt er vor, den Islam zu verteidigen, der in der Bath- Ideologie nur „kulturelles Erbe“ der arabischen Nation ist. Saddam Hussein erweist sich also als lernfähig — schließlich konnte er im Golfkrieg das Mobilisierungspotential des Islam eingehend studieren.
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