: Stasi-Besetzer im Hungerstreik
Die BürgerrechtlerInnen in der Berliner Stasi-Zentrale unterstreichen ihre Forderung nach einer Regelung für die Stasi-Akten im Vereinigungsvertrag/ ParlamentarierInnen sollen Rückgrat beweisen/ Innenminister Dietsel soll in die Wüste geschickt werden ■ Von Wolfgang Gast
Berlin (taz) — Die BesetzerInnen der Stasi-Zentrale im Berliner Bezirk Lichtenberg sind gestern in einen unbefristeten Hungerstreik getreten. Die über 20 Hungerstreikenden — darunter der Liedermacher Wolf Biermann und die Bürgerechtlerinnen Bärbel Bohley und Katja Havemann — wollen ihre Forderung nach der Übernahme des Volkskammergesetzes vom 24. August „Zum Umgang mit den Stasi-Akten“ in den Vereinigungsvertrag nochmals unterstreichen. Bei einer improvisierten Pressekonferenz im Innenhof des früheren Stasikomplexes in der Normannenstraße forderten sie die Abgeordneten der Volkskammer auf, dafür Sorge zu tragen, daß neben dem Gesetz über den Umgang mit den Stasi-Akten auch das Rehabilitierungsgesetz Bestandteil des Vereinigungsvertrages werde. Der Umgang mit den Stasi-Akten wird heute ebenso wie ein Abwahlantrag gegen Innenminister Diestel die Volkskammer beschäftigen. In der Erklärung zum Hungerstreik heißt es, jeder Parlamentarier sollte sich bewußt sein, daß er für das politische Klima der nächsten Jahre mitverantwortlich sei: „Wir wollen kein geeintes Deutschland, das in Politik und Wirtschaft von mafiosen Stasi-Strukturen durchsetzt ist.“
Eine Lösung, wie sie Chefunterhändler Günther Krause (CDU) am Dienstag nach einem Gespräch mit dem Bonner Innenminister Schäuble offeriert hatte, lehnten die BesetzerInnen ab. Krause hatte vorgeschlagen, den Umgang mit den Akten in einem Schriftwechsel mit den Bundesbehörden verbindlich zu regeln. Danach sollten die über sechs Millionen Personendossiers über DDR-BürgerInnen auf dem Gebiet der DDR verbleiben und einem Sonderbeauftragten unterstellt werden. Dessen Beirat sollte weiter um die Verteter der noch zu bildenden Bundesländer erweitert werden. Entgegen den Intentionen des Volkskammergetzes würden die Akten aber dennoch dem Zugriff des Bundes unterliegen. Für die Bürgerrechtlerin Bohley sind Krauses Pläne nicht tragbar: „Wir wollen nicht, daß nur wesentliche Aussagen und Inhalte des Gesetzes übernommen werden, sondern daß das Gesetz in seinem vollen Wortlaut in den Vereinigungsvertrag aufgenommen wird.“
Der Generalbundesanwalt Alexander von Stahl hat in einem Interview bereits gestern ein Zugriffsrecht seiner Karlsruher Behörde auf die Stasi- Akten angemahnt. Zumindestens im Bereich des Terrorismus müßten den Fahndern die „operativen Akten“ der Stasi zugänglich gemacht werden. Der Chef des Bundeskriminalamtes, Hans-Ludwig Zachert, hat mit Blick auf die „Operativvorgänge“ ebenfalls erklärt, „das Aktenmaterial des MfS, das jetzt zur Verfügung gestellt wird, muß genutzt werden“.
Die BesetzerInnen forderten die VolkskammerparlamentarierInnen weiter auf, „die Ablösung von Innenminister Diestel durchzusetzen“. Er trage die Verantwortung dafür, daß der Wille des Parlamentes „so schamlos mißbraucht werden konnte“. Dem Innenmnister müßte weiterhin sofort die Zuständigkeit über die Stasi-Archive entzogen werden. Spätestens seit der Enttarnung der „Offizieren im besonderen Einsatz“ (OibE) in seinem Ressort am Dienstag sei klar, daß unter seiner Führung das Innenministerium zu einer „Hochburg der Stasi“ geworden sei. Das sagte Reinhard Schult vom Neuen Forum. Unterhändler Krause hatte sich ursprünglich am Dienstag nachmittag zu den Besetzern in der Normannenstraße begeben wollen. Er wollte dort den BesetzerInnen der Stasi-Zentrale seine Verhandlungen mit Schäuble erläutern und über den Wortlaut des angestrebten Briefwechsels diskutieren. An seiner Stelle erschien aber nur ein Stellvertreter.
Bärbel Bohley sah sich zu der Äußerung veranlaßt, daß es Krause „vielleicht peinlich sei, ein Volkskammergesetz vergessen zu haben“. Die Mitglieder des Sonderausschusses zur Kontrolle der Auflösung der Stasi haben sich dafür eingesetzt, daß der Ausschußvorsitzende Joachim Gauck den Posten des Sonderbeauftragten übernehmen soll. Seine fachliche Qualifikation sei im Ausschuß anerkannt. Gauck solle noch vor der Verabschiedung des Vereinigungsvertrages benannt werden.
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