: Unterm Strich
Unsereins muß malochen, und der liegt den ganzen Tag im Garten und malt auf Steuerzahlers Kosten nackte Weiber.“ Solche und ähnliche Unmutsäußerungen sind zu hören, seit Künstler in die erzkatholische 5.000-Seelen-Gemeinde Schöppingen einzogen. Menschen, die keine feste Arbeitszeit haben, manchmal drei Tage und Nächte wie besessen schuften und dann in Tiefschlaf fallen, passen eben nicht recht ins Weltbild des Münsterländers. So übernahm der 62jährige Rolfrafael Schröer, Initiator der Literaturbüros, das in Nordrhein- Westfalen Schriftsteller unterstützt, eine Art missionarischen Auftrag, als er Anfang 1989 von Düsseldorf nach Schöppingen übersiedelte, um in zwei vom Verfall bedrohten, aber unter Denkmalschutz stehenden Bauernhöfen ein Künstlerdorf aufzubauen (die taz berichtete). An diesem Wochenende wird es nun offiziell eröffnet.
Der Hof Schulze-Johann dient bereits seit über einem Jahr als Refugium für Schriftsteller, die sich für einige Zeit in sich selbst zurückziehen und in Ruhe arbeiten wollen. Der benachbarte Hof Schulze-Dorfkönig, der bildende Künstler beherbergen soll, ist erst in den letzten Tagen fertig geworden. Bald wird der Betrieb in den Ateliers, den Seminarräumen, auf der Bühne, in Tonstudios und Fotolabors, Töpfer-, Metall- und Holzateliers sowie den Druckwerkstätten und Ausstellungsräumen auf vollen Touren laufen. Eine enge Zusammenarbeit mit der brandneuen Landesmusikakademie von Nordrhein-Westfalen im benachbarten Heek-Nienborg bahnt sich an.
In umgebauten ehemaligen Pferdeboxen arbeiten zur Zeit der Algerier Habib Tengour, Peter H. Cogolin aus Schleswig-Holstein und andere Schriftsteller, der Pole Piotr Sonnewend und Mehmet Uyanik aus der Türkei werden in hiesigen Ateliers malen und bildhauern. Wer diesen Ort der Stille für sich nutzen will, kann sich über die Gemeindeverwaltung bei Schröer bewerben. Mögliche Stipendiengeber sind neben dem nordrhein-westfälischen Kultusminister, dem Landschaftsverband Westfalen- Lippe in Münster, der Stadt Düsseldorf auch das Goetheinstitut und das Literaturbüro Ruhrgebiet. Ein Jahresstipendium beträgt etwa 20.000 bis 24.000 Mark. Aber auch Selbstzahler haben eine Chance, in Schöppingen unterzukommen.
Die ersehnte Arbeitsruhe ist jedoch bereits bedroht: Gemeindeväter haben die Werbewirksamkeit des Künstlerdorfs erkannt. Sie wittern eine kommunale Visitenkarte, die ein neues und modernes Image fördern könnte. Die örtliche Gastronomie, der Einzelhandel profitieren bereits von der Touristenattraktion, die sich Land und Gemeinde bisher sechs Millionen Mark haben kosten lassen. Dichterlesungen — „Literaturcafé“ und „Freitagsliteratour“ auf der Tenne sind schon zu festen Einrichtungen geworden — und demnächst werden auch Ausstellungen der ganzen Region neue Impulse geben.
Werke von acht polnischen Künstlern werden seit gestern bis zum 14. Oktober im Düsseldorfer Kunstmuseum gezeigt. Die Austellung trägt den Titel „Bakunin in Dresden“ und erinnert damit an die Idee des russischen Anarchisten, bei der Belagerung Dresdens im Jahre 1848 die weltberühmte „Sixtinische Madonna“ als „Geisel“ zu nehmen.
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