: Der Zauderer und der Zauberer
■ Ex-Bundestrainer Helmut Schön feiert heute im engsten Familien- und Freundeskreis seinen 75. Geburtstag
Berlin (taz) — Bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Italien standen in den Pressezentren jede Menge hübscher, kleiner Computer herum, nette Spielzeuge, randvoll mit Statistiken und hochbedeutenden Informationen. Da gab es das schnellste Tor jeder WM, den höchsten Sieg, das Spiel mit den meisten Platzverweisen, den WM-Spieler mit den meisten Siegen (Wolfgang Overath), den mit den meisten Unentschieden (Karlheinz Rummenigge), den mit den meisten Niederlagen (Mexikos Torwartlegende Antonio Carbajal, der bei fünf Weltmeisterschaften zwischen 1950 und 1966 brav seine Tore kassierte) und, last not least, den erfolgreichsten Trainer: Helmut Schön.
Einmal Weltmeister (1974), einmal Vize (1966), einmal Dritter (1970) wurde der lange Sachse mit den angenehmen Umgangsformen, der heute seinen 75. Geburtstag feiert; dazu kamen die Europameisterschaft (1972) und der Vize-Europameistertitel (1976). Eine grandiose Trainerkarriere des einstigen Klassestürmers, der in 16 Länderspielen 17 Tore schoß; nur das Ende ging völlig daneben. Erst handelte er sich 1978 bei der WM in Argentinien das Debakel von Córdoba (2:3 gegen Österreich) ein und verpaßte zum erstenmal einen Platz unter den vier Besten, dann dichtete Udo Jürgens ein scheußliches Lied über ihn und zu guter Letzt mußte auch noch sein Abschiedsspiel gegen Ungarn wegen Nebels abgebrochen werden.
Helmut SchönFoto: taz-archiv
Das Amt des Bundestrainers hatte er 1964 unter schwierigen Bedingungen angetreten. Nach dem leutseligen, volkstümlichen Sepp Herberger wirkte der distanzierte, menschenscheue Schön, der vor Sorge Magenkrämpfe bekam, wenn er über die Mannschaftsaufstellung nachgrübelte und dessen Wutausbrüche ebenso gefürchtet wie selten waren, auf die Öffentlichkeit wie eine kalte Dusche. Zudem drohte in der Qualifikation für die WM 1966 in England bald das schmachvolle Aus. Doch da bewies der als Zauderer berüchtigte Schöngeist seltene Risikofreude. Zum entscheidenden Spiel in Schweden ließ er den gerade von einem Achillessehnenriß genesenen Uwe Seeler und einen 19jährigen Debütanten namens Franz Beckenbauer auflaufen. Beckenbauer zauberte, Seeler schoß das 2:1 und es folgte eine glanzvolle WM, die erst im Finale mit dem 2:4 gegen England endete.
Die Partnerschaft mit Beckenbauer erwies sich in der Folge als äußerst gewinnbringend, und Schön war klug genug, den Münchner in die Entscheidungsprozesse einzubeziehen: „Es wäre doch dumm von mir, mit ihm nicht über die Aufstellung zu reden.“
Überhaupt war Helmut Schön mit seiner sanften, toleranten Art der geeignete Coach für die eigenwilligen, aufmüpfigen Fußballstars jener Zeit und es ist sicher kein Zufall, daß in seiner Ära die beste deutsche Mannschaft aller Zeiten ihre kurze Blüte hatte: die Europameisterschaftself von 1972. Voilà: Maier — Höttges, Breitner — Schwarzenbeck, Beckenbauer, Wimmer — Heynckes (Grabowski), Hoeneß, Müller, Netzer, Erwin Kremers (Held). Matti
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