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Adrette Transzendenz

■ Sofia Gubaidulina bei den Berliner Festwochen

Sofia Gubaidulina ist eine integre Person. Im Gespräch strahlt sie Konzentration, Wärme, Würde und Ruhe aus. Sie spricht im schwärmerisch hymnischen Tonfall und mit gläubigem Eifer von ihren Einsichten, Überzeugungen und Arbeiten.

Sie macht es schwer, über den Respekt, den man ihr gegenüber aufzubringen geneigt ist, die Kritik an den Werken, die sie hervorbringt, mit Deutlichkeit zu formulieren. Es drängt sich Nachsichtigkeit auf: Sofia Gubaidulina hat in der Sowjetunion gegen widrige Umstände schreiben und für die Schublade komponieren müssen; zudem hat sie in ihre Werke ihre subjektiv verbindlichen Aussagen über Gott und die Welt (buchstäblich!) gelegt, mit bekennerhafter Inbrunst, die leichter anzugreifen als aufzubringen ist; schließlich ist es für eine Komponistin legitim, sich aus der Welt zurückzuziehen und in abgeschiedener Klausur die eigene innere Klangwelt zu belauschen und zu Papier zu bringen, jenseits der Moden, Medien, Mondänitäten. Allerdings tritt ihre Musik ans Licht eben dieser von hektischer Betriebsamkeit geschüttelten Welt und versucht hier ihre Wirkungen zu erzielen. Daraus folgt das Andrerseits: Musik, die im Konzertsaal erklingt, muß sich auch den entsprechenden Kriterien stellen, sie muß innermusikalischen Maßstäben gerecht werden können.

Was war zu hören? Im Rahmen der Berliner Festwochen kamen drei Stücke von Sofia Gubaidulina zur Aufführung, ein „Portrait“ (dieser Begriff inflationiert sich gerade zu Tode) mithin. Mitglieder des Chamber Orchestra of Europe spielten Quasi Hoketus und die Sieben Worte; Simon Rattle dirigierte das Berliner Philharmonische Orchester bei der Uraufführung von Alleluja. Allen Stücken gemeinsam ist ihre Simplizität. Sofia Gubaidulina hat ein ungetrübtes Verhältnis zum klassischen Klangideal, sie komponiert Dur- und Mollakkorde, hängt dem Leitbild des kantablen Tones an, liebt die krassen, daher aber deutlichen Gegensätze und die einfachen Formen. Selbstverständlich finden sich viele Klänge der Moderne, ballen sich Töne zu Clustern zusammen, bilden sich Gewebe aus Dutzenden von Stimmen, gleiten die Töne mikrotonal ineinander. Aber all diese Mittel dienen dem Kontrast und legitimieren den anschließenden Gebrauch seliger Streicherhymnen im reinsten Dur.

Quasi Hoketus, 1982 für Fagott, Viola und Piano geschrieben, beginnt mit einer Klanggestaltung, die zunächst aufhorchen läßt. Im Klavier wird ein Akkord angeschlagen, der schnell verklingt und dabei das leise Spiel der Viola freigibt, die den Klang als gefärbten Nachhall weiterträgt. Doch sehr schnell weicht dieses Kleinod gröberen Klängen: Fagott-Viola-Duette, die sich langsam kreisend die Tonleitern hochschleppen, ein Prozeß, der ewig zu währen scheint, oder Choralharmonien des Klavieres, die sich wiederholend abspulen und die Zeit lang werden lassen.

„Mit den Mitteln der Musik näher zu Gott zu stehen“, sei das Ziel des Komponierens, sagt Sofia Gubaidulina und deutet damit auf die Rolle des Religiösen für ihr Denken. Als Tochter eines tartarischen Mufti (ein religiöser Richter) hat sie die Gottesfürchtigkeit in die Wiege gelegt bekommen, hat das Schweigen, die Stille, die Meditation von Jugend an erfahren, was sich in einem unerschütterlichen Glauben niederschlug. Die Belange und Probleme der Welt zeigen sich ihr in den alten Symbolen der christlich-orthodoxen Kirche: das Kreuz, die Dreieinigkeit, das Lamm Gottes — Symbole, mit denen sie auch musikalisch arbeitet. Die Sieben Worte von 1984 für Streichorchester, Solocello und Bajan (ein Knopfakkordeon) verweisen natürlich auf die sieben letzten Worte Jesu am Kreuze, über die in sieben Sätzen meditiert wird. Das Streichorchester wird hier zu einer Metapher für Gottvater, das Cello für Gottsohn und das Bajan für den heiligen Geist. Wie sie dann zusammenwirken und miteinander spielen, läßt sich in aller Deutlichkeit verfolgen, so deutlich, daß die Klangsituationen hochgradig vorhersehbar werden, mit Überraschungen ist nicht zu rechnen.

Das heißt aber, wenn die Klanggestaltung anfangs nicht interessant ist, ändert sich das auch in den nächsten Minuten nicht. Das Herumleiern des Cellos auf einem einzelnen Ton mag da für Andachtswillige eine Geste der Nachdrücklichkeit sein, musikalisch bleibt das auf Dauer unbefriedigend. Oder die simplen Kontraste: sehr tiefe Cluster im Bajan, die wirklich aufwühlend klingen, schlagen plötzlich um in vibratotriefende Streicherseligkeit, ein gern benutzter Effekt, um Verklärung und Transzendenz auszudrücken, bekannt aus Funk und Fernsehen. Die Musik will so viel sagen, aber sie bedient sich verdächtiger Klischees und billiger Effekte.

Alleluja (1990) stellt Chor, Orchester und Knabensopran in den Dienst einer bekennenden Seele. Den sieben Sätzen liegt ein orthodoxer Hymnus zugrunde, der mal mehr, mal weniger wahrnehmbar strukturbildend wirkt. Darüber wird mit bewährten Mitteln der Moderne ein Lobgesang auf die Herrlichkeit Gottes angestimmt, in denen sich bisweilen auch Zweifel und Bestürzung mischen. Ein eigentlich vorgesehenes Farbenklavier, frei nach Skrjabin, mußte aus technischen Gründen entfallen, kann aber als Hinweis auf die Rolle der Farbe des Stückes gelten. Allerdings ist das Orchester instrumentiert, wie eine Orgel registriert wird. Ist einmal ein Klang gefunden, wird er beibehalten, bis der nächste Formeinschnitt mit einem neuen Klang markiert wird. Auftretende Klangschichten sind selten subtile Gewebe ausgesponnener Instrumentation, sondern meist Mixturen, mit breitem Pinsel al fresco aufgetragene Farbschichten. Simon Rattle, der die enorm komplexen und farbigen Partituren von Berg und Schoenberg mit sensiblem Ohr zum Leuchten bringt, dürfte sich hier ziemlich unterfordert gefühlt haben. Wenn dann am Ende des Stücks ein Knabe aus ferner Höhe zu Harfen, Glocken, Celesta und Orgel den originalen orthodoxen Hymnus anstimmt, wer kann da nicht an Engel, Frohlocken und Ewigkeit denken. Das mag tief empfunden sein, ist aber dramaturgisch gesehen banal. Mit dem erbarmungslos deutlichen Aussprechen des Hymnus, bis dahin untergründig verborgen, beraubt sich die Komposition ihres letzten Geheimnisses, „Alleluja“, jeglicher Zauber verfliegt unwiederbringlich und hinterläßt ein endgültig leeres Gefühl. Frank Hilberg

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